Die Magd von Fairbourne Hall
Augen vor sich. Sie blinzelte, um das Bild zu vertreiben. Auf der Theke neben ihr lag die Chatelaine, doch Margaret beachtete sie nicht und verbrachte die nächste Viertelstunde damit, nicht nur Knöpfe, sondern auch Bänder, Spitze und Stoffe zu betrachten.
Zum Schluss entschied sie sich für vier neue Knöpfe, ein paar Meter Band und ein Stück hauchzarten, durchsichtigen Stoff, aus dem sie ein Schultertuch nähen wollte. Wieder fiel ihr die Chatelaine ins Auge. Einen Augenblick lang dachte sie daran, den Schnickschnack einfach sein zu lassen und stattdessen mit Miss Upchurchs Geld die Chatelaine zu kaufen. Würde es Helen überhaupt auffallen, wenn sie ihr unpassende Knöpfe an das Kleid nähte? Doch gleich darauf schalt sie sich, weil sie überhaupt an diese Möglichkeit gedacht hatte. Sie war die Tochter eines Pfarrers. Eine Dame. Eine vertrauenswürdige Dienerin. Plötzlich wurde ihr klar, welche Ironie darin lag, dass sie an sich als Dame und Dienerin in einem einzigen Gedanken dachte, und sie biss sich auf die Lippen.
Sie gab dem Krämer eine von Miss Upchurchs Guineen und steckte das Wechselgeld, das er ihr reichte, sorgfältig in ihren Pompadour. Dabei fiel ihr die Kamee ins Auge, die in dem Täschchen lag. Das Geschenk ihres Vaters. Unersetzlich. Geliebt. Sie schloss die Augen.
Was würdest du von mir erwarten, Papa? , fragte sie sich still. Was würdest du von mir erwarten, allmächtiger Gott? Sie biss sich auf die Innenseite der Wangen, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.
Mit klopfendem Herzen griff Margaret in die Tasche und holte die Kamee mit dem goldenen Verschluss heraus. Einen Augenblick betrachtete sie sie ehrfürchtig. Der scharfäugige Ladenbesitzer beobachtete jede ihrer Bewegungen. Sein Blick klebte an der goldenen Kette und der fein gearbeiteten, wenn auch recht kleinen Kamee. Sie legte sie vor ihn auf die Theke, ihre steifen Finger umklammerten den Kettenverschluss.
Zwei Tage später betrachtete Helen Upchurch erstaunt das aufgearbeitete Kleid. »Du hast aber viel mehr gemacht, als nur neue Knöpfe angenäht, Nora. Es ist wunderschön geworden.«
»Ich freue mich, dass es Ihnen gefällt, Miss.«
Und Margaret freute sich wirklich, denn sie hatte viel zu viel Zeit damit verbracht und die wenigen Mußestunden in den letzten beiden Nächten daran gearbeitet. Sie hatte eine kleine Bordüre aus Kleeblättern um den Saum gesetzt, kontrastfarbene Manschetten angenäht und für die Taille ein breites Band aus dem gleichen Material angefertigt.
Helen sah zu ihr auf. »Und das hast du alles von dem bisschen Geld gemacht, das ich dir gegeben habe?«
»Und aus ein paar Kleinigkeiten, die ich in Miss Nashs altem Zimmer gefunden habe.«
Helen lachte. »Wie seltsam, dich ihren Namen sagen zu hören, obwohl du sie nie kennengelernt hast.«
»So nennen die anderen das Zimmer.«
»Sie finden es wohl seltsam, dass ich keine andere Zofe eingestellt habe?«
Margaret zuckte die Achseln. »Ein bisschen.« Sie zögerte. »Darf ich Sie fragen, warum nicht?«
Helen, die auf dem Stuhl vor dem Frisiertisch saß, sah sie an. »Weißt du, Miss Nash war die Zofe meiner Mutter. Mama hat sie sehr gemocht und ich habe sie gern behalten, nachdem meine Mutter gestorben war. Aber als Miss Nash ein bestimmtes Alter erreichte, fing sie an, ein bisschen nachzulassen, geistig und auch körperlich. Sie legte mein Haar in Löckchen, wie bei einem kleinen Mädchen, und nähte niedliche Rüschen und Volants an meine Kleider. Deshalb habe ich sie überredet, in den Ruhestand zu gehen. Sie verbringt ihren Lebensabend in einem gemütlichen Cottage auf unserem Anwesen. Sie hat nicht gern aufgehört zu arbeiten, aber ich konnte sie überzeugen, dass sie ihre Pflicht mir gegenüber erfüllt hatte und ich keine Zofe mehr bräuchte, die sich nur mit meiner äußeren Erscheinung beschäftigt. Schließlich hatte ich mein gesellschaftliches Leben ja aufgegeben. Meine Zeit der Bälle und Flirts waren vorüber. Wenn nötig, konnte Betty mir helfen, mich anzukleiden und mein Haar aufzustecken. Wenn ich eine neue Zofe eingestellt hätte, wäre Miss Nash gekränkt gewesen. Dann hätte sie nicht gedacht, dass ich sie nicht mehr brauche, sondern dass ich sie nicht mehr will.«
»Und war es so?«
Helen seufzte. »Sie haben doch den Zustand meiner Kleider gesehen. Als Miss Nash da war, sahen sie nicht viel besser aus. Einmal schalt sie mich sogar, weil ich nicht mehr in mein Kinderkorsett passte, als hätte
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