Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
Vom Netzwerk:
Füßen auf Glassplittern. Sie hatte Angst, ohnmächtig zu werden; sie zwang sich, tief zu atmen, und konnte doch kaum dem Drang widerstehen aufzukeuchen, sich zu ducken oder davonzulaufen.
    Schließlich wanderte das Bild durch die Reihe vor ihr. Craig warf einen raschen Blick darauf, schüttelte den Kopf und reichte es Betty. Betty sah es an, zögerte, sah noch einmal hin, dann gab sie es Margaret. Margaret schluckte. Wie seltsam, jetzt, unter diesen Umständen, ihr früheres Abbild zu sehen! Wie jung das Mädchen auf dem Porträt aussah, das hellblonde Haar gelockt und hoch um das Gesicht he­rum aufgesteckt, helle Brauen über stolzen blauen Augen, die blassen Wangen und rosa Lippen. Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, nicht mehr.
    »Erkennst du sie?«, rief Sterling Benton ihr zu.
    Zu spät merkte Margaret, dass sie das Bild zu lange in der Hand behalten und damit seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Rasch schüttelte sie den Kopf und reichte es Betty zurück. Dabei stieß sie ihr unauffällig den Ellbogen in die Seite.
    »Äh, nein, Sir«, antwortete Betty für sie. »Tut mir leid, Sir. Sie ist ein hübsches Ding.«
    Mrs Budgeon sagte: »Mr Benton hat dich nicht um eine Beurteilung ihrer Schönheit gebeten, Betty, aber trotzdem danke.«
    Das Bild wanderte wieder zurück, schneller diesmal, von Hand zu Hand. Mrs Budgeon gab es Mr Hudson, der es ansah, noch einmal ansah und dann sagte: »Betty hat recht.«
    Er reichte es Nathaniel Upchurch, der es Benton Sterling gab, ohne einen Blick darauf zu werfen.
    Sterling ließ die Augen durch die Halle wandern und heftete seinen Blick dann auf Nathaniel. »Und wo ist Ihre liebe Schwester?«
    Nathaniel sagte gleichmütig: »Meine Schwester bewegt sich zur Zeit kaum in der Gesellschaft, deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie Marg… Ihrer Stieftochter über den Weg gelaufen ist.«
    Sterling bedachte ihn mit einem dünnen Lächeln. »Trotzdem, sie ist eine Frau und Frauen können so viel scharfsichtiger sein als Männer. Finden Sie nicht auch?«
    Nathaniel starrte den Mann an. Ohne die Augen von ihm zu wenden, sagte er knapp: »Mrs Budgeon, würden Sie bitte Miss Upchurch holen lassen?«
    »Ja, Sir.«
    Doch Mrs Budgeon ließ ihrerseits den Blick über die Dienerschaft wandern, die die Treppe blockierte, sah Margaret an und befahl: »Nora, bitte die Herrin, zu uns herunterzukommen.«
    Margaret rührte sich nicht; ihr erstarrtes Hirn registrierte kaum, dass sie angesprochen worden war. Jetzt stieß Betty ihr den Ellbogen in die Seite. Nora kam zu sich, drehte sich um und lief die Treppe hinauf. Dabei spürte sie, wie ein Augenpaar sie verfolgte.
    Sie rannte beinahe den Flur hinunter, platzte ohne anzuklopfen in Helens Zimmer und lief zum Waschtisch. »Sie werden in der Halle gewünscht, Miss.«
    Miss Upchurch blickte erwartungsvoll vom Schreibtisch auf und runzelte die Brauen. »Ach ja? Warum?«
    Voller nervöser Energie wusch Margaret sich die Hände und holte ein frisches Schultertuch aus einer Schublade. »Ein Mann ist gekommen«, sagte sie, brachte jedoch kaum noch den einstudierten Akzent zustande, in dem sie sonst redete. »Ein Mr Benton.«
    Helen warf ihr einen raschen Blick zu. »Sterling Benton?«
    Margaret nickte. Sie legte Helen das Schultertuch um und steckte es in den Ausschnitt ihres goldfarbenen Tageskleides.
    »Was will er?«
    Margaret schluckte. »Er sagt, seine Stieftochter wäre verschwunden. Und er zeigt eine Miniatur von ihr herum und fragt, ob irgendjemand sie gesehen hat.«
    »Und kennt jemand … die Frau auf dem Bild?«
    Margaret steckte eine Haarsträhne fest, die sich aus Helens Knoten gelöst hatte. »Nur Mr Upchurch, glaube ich.«
    »Warum fragt Mr Benton nach mir?«
    »Ich weiß nicht, Miss. Um Sie zu fragen, ob Sie das Mädchen gesehen haben, vermute ich.«
    Einen Augenblick sahen die beiden Frauen einander direkt in die Augen.
    Helen fragte nüchtern: »Und, habe ich?«
    Margaret presste ihre Lippen zusammen, damit sie nicht zitterten. Ihr Mund wurde ganz trocken. Sie flüsterte: »Das müssen Sie entscheiden.«
    Helen legte den Kopf schräg. »Aber?«
    In dem folgenden Schweigen hörten sie überlaut die Kaminuhr ticken.
    In der Hoffnung, ihr einen Ausweg zu bieten, stammelte Margaret: »Aber … Ihr Bruder hat ihm gesagt, dass es sehr unwahrscheinlich ist … dass Sie sie gesehen haben. Weil Sie kaum noch unter Leute gehen.«
    Helen runzelte die Stirn. »Das mag sein, wie es will – aber ich habe schließlich auch Augen im

Weitere Kostenlose Bücher