Die Magie des Falken
halten? Sagt, sollen auch bei uns ein freier Mann oder eine Frau sich wie ein Þræll betragen? Sagt, wollt ihr das?«
Die Versammelten verkündeten lautstark ihren Unwillen, nicht nur, weil die vielen Seimenn unter ihnen eine mitreißende Rede zu würdigen wussten – Kyrrispörr spürte, dass sie Eyvind Kelda auch in der Sache beipflichteten. Also schrie er mit ihnen, hob die Faust wie sie und wäre am liebsten sofort losgezogen, um dem Mörder seines Vaters den Schädel zu spalten. Aber Eyvindr war noch nicht fertig.
»Sein wahres Gesicht hat Olafr Tryggvason gezeigt, als er uns einlud zu einem Versöhnungsfest, uns, die Seimenn ganz Norwegens und selbst seine Berater, die an seiner Seite gekämpft und mit ihm die Meere durchpflügt hatten. Geblendet hatte er uns alle mit seiner Geste der Freundschaft, und belohnt hat er unser Vertrauen mit dem Feuer, dem allein ich und der Sohn eines seiner Berater entkamen, Kyrrispörr nämlich. Er, der vor eueren Augen heute die Würde der Mannbarkeit erhielt, und ich, wir sind die einzigen Überlebenden von Olafs Niedertracht. Wollt ihr so enden wie unsere Kameraden?«
Während Zornesbrüllen über den Platz brandete, fühlte sich Kyrrispörr von allen Seiten an der Schulter gerüttelt.
»Kommt mit uns, lasst uns unsere Freunde rächen, auf dass die Möwen sich an der Verräterzunge dieses Königs sattfressen mögen! Noch in diesem Frühjahr werden Hakon Jarls Söhne ihre Herrschaft aufnehmen können.«
Während die meisten sich von der Entrüstung anstecken ließen, gab es doch einige Hersire, die sichtlich im Zweifel waren.
»Es stimmt schon, was du sagst«, erklärte der Hauknefr Jarl. »Vergiss aber nicht, Eyvindr Kelda, dass die Hersire hier zuerst an ihre Dörfer und Siedlungen denken müssen. Tryggvason hat in den drei Jahren seiner Herrschaft bewiesen, dass er ein starker Herrscher ist.« Von den Hersiren kam bestätigendes Murren. »Und wer soll Tryggvason nachfolgen? Hakon Jarl war Herr über sechzehn Jarla und hielt sie zusammen. Tryggvason hat ihn gejagt und ermordet. Wer wird also der neue König, wenn der König getötet worden ist? Oder wenigstens Erster unter den Jarla, wie es Hakon war?«
»Sven Hakonson konnte nach Dänemark flüchten«, erklärte Eyvindr. »Ich sage euch, noch vor dem Sommer wird er von uns die Herrschaft erhalten.«
»Aber sollte die Rache der Seimenn nicht auch von der Seimenn Hand erfolgen? Wer könnte Oins Zorn besser über Tryggvason bringen als ihr?«
Eyvindr lächelte traurig. »Nicht allein Oinn geht das an. Wer immer euch nahesteht, ob Baldr, Þórr oder ein anderer, er wird Tryggvason nicht mögen.«
»Die Götter wissen sich schon selbst zu wehren«, gab ein anderer Hersir zu bedenken. »Und euch Seimenn werden sie am besten unterstützen können, die ihr ja ihre Macht so oft schon angerufen habt.«
»Zudem war es ein hartes Jahr und ein früher Winter. Das Vieh muss versorgt und der Acker bestellt werden«, fügte ein anderer hinzu. »Wenn wir jetzt Krieg führen, fehlt es im Frühling vielleicht an Händen.«
»Ich spreche für die Bœndi bei Þrándheim«, meldete sich zum ersten Mal Hersir Jarnskegge zu Wort. »Olafr hat den Hochjarl Hakon zur Flucht bewegt und dann morden lassen, ihn, der sechzehn Jarla unter sich hatte. Anders als seine Mannen werden wir uns nicht bekehren lassen. Es geht Olaf um seine Macht, nicht um seinen merkwürdigen einsamen Gott, den Þórr noch zerschmettern wird. Aber Olafr hat viele Mannen, und er ist listig wie ein Fuchs. Deswegen werden wir ihm auf unserem Boden begegnen und ihm die Stärke der Bœndi beweisen. Er wird sich Þórr unterwerfen müssen! Doch im Namen der Bœndi wiederhole ich, nur auf unserm Grund, nicht in seinem eigenen Bau. Euch, Seimenn, unterstützen wir, doch nicht mit Mannen. Das ist mein Wort.«
»Also«, sagte Hauknefr Jarl und führte die Hände zusammen, »die Seimenn sind gut gerüstet für ihre Rache. Gern stellen wir euch ein Schiff und reichlich Proviant. Auf dass Tryggvasons Haupt fallen möge!«
Für den Bruchteil eines Herzschlags sah Kyrrispörr in Eyvinds Gesicht, dass der Seher seine Niederlage erkannt hatte – denn nichts anderes war das, begriff er. Die Hersire hatten mit schönen Worten im Grunde eins gesagt: Das hier ist nicht unser Problem. Aber Eyvindr fluchte nicht. Er schien nicht einmal verärgert zu sein. Ganz im Gegenteil, er blickte in die Runde, als habe er ein Geschenk erhalten, das seine Erwartungen um ein Vielfaches übertraf.
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