Die Magie des Falken
die Kälte des Wassers an seinen Knien hielt ihn wach. Ihn durchfuhr ein eisiger Schreck: Das Wasser wurde mehr! Jetzt begriff er. König Olafr hatte seine Gefangenen nicht etwa hierherschaffen lassen, um sie im Blick zu behalten. Nein, vielmehr ließ er sie ersaufen – vielleicht aus Angst, dass Rachezauber auf die Scharfrichter niedergehen könnten, ließ er die Hinrichtung von Njörd selbst vornehmen. Die Flut kam, nicht lange, und sie alle lagen am Grund eines flachen Ausläufers der Insel. Der Christ richtete die Heiden mit ihren eigenen Göttern hin! Verzweifelt zerrte Kyrrispörr an den Fesseln, aber das führte nur dazu, dass sie sich noch enger um seine Gelenke zogen. Stehen konnte er nicht, da die Handfesseln über einen kurzen Strick mit seinen Füßen verbunden waren. Er verlor das Gleichgewicht und kippte zur Seite. Der Abend war ungewöhnlich mild, aber Kyrrispörr bebten dennoch die Lippen, und das Wasser fühlte sich an wie Eis. Allein das Entsetzen war noch größer und verdrängte sein Kälteempfinden. Durch das Tal schallte nun unheimlich wie Geistergeheul das Wehklagen der Magier.
Nachdem die erste Welle seiner Verzweiflung abgeebbt war, begann Kyrrispörr sich den Kopf zu zermartern. Wie konnte es sein, dass er sterben musste? Er hatte König Olaf nicht getötet, aber er hatte auch kein anderes Blut vergossen, oder? Oder? Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern. Er hatte sein Schwert im Kampf gegen Feilan gezogen gehabt, ja, aber doch nicht eingesetzt! Hatte er vielleicht zufällig einen anderen damit verletzt? Er rappelte sich wieder auf die Knie, und das Wasser stand ihm schon bis zu den Oberschenkeln.
Mit der Dunkelheit der Nacht stieg das Wasser schnell weiter. Als es bis zu seinem Bauchnabel reichte, wusste er immer noch nicht weiter. Stattdessen ließ die Kälte seinen Unterkörper ertauben; zwischen seinen Beinen zwickte es widerlich, sosehr er auch die Schenkel zusammendrückte. Wiederum fühlte Kyrrispörr sich von einer tiefen Verzweiflung durchdrungen, und die Kälte förderte diese noch, es war, als fröre sie seine innere Gegenwehr ein und mache alles noch schlimmer. Im Kampf zu sterben, damit hatte er gerechnet. Aber einfach zu ertrinken …
Das Atmen fiel ihm schwerer, als das Wasser zu seiner Brust stieg. Dazu das Stechen, und sonst nur Taubheit. Er wollte schreien, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Mitten in seiner Qual war es ihm, als höre er Laggar rufen. Seine Augenlider flatterten; er sah den Falken vor sich, wie er, den Kopf ins Gefieder gesteckt, auf einem Ast saß und schlief; wie er dann hochschrak, das Federkleid eng an den Körper legte und in die Dunkelheit starrte, zu der Bucht, in der die Seimenn auf ihren Tod warteten. Sah sich selbst dort unten knien, ein heller Fleck in schwarzglänzendem Wasser, und nun wich die Kälte aus seinen Gliedern, er spürte die Federn, die ihn wärmten, den Schnabel anstelle der Lippen, und seine Arme waren zu Flügeln geworden, und ohne dass er es selbst wahrnahm, sank er langsam zur Seite ins Wasser, während sein Selbst mit dem des Falken verschmolz – Hände packten ihn an den Schultern und zerrten ihn unsanft hoch. Kyrrispörr machte einen schwachen Versuch, sich zur Wehr zu setzen und raunte: »Lass mich«, aber er hatte dem Griff nichts entgegenzusetzen. Jemand lud ihn mit viel Mühe auf die Schulter, ächzte dabei, und als Kyrrispörr wieder einen Laut von sich gab, legte sich eine Hand auf seine Lippen und er glaubte ein »Sei still!« zu hören. Nach einer geraumen Zeit wurde er auf ein Fell gebettet, er spürte, wie an seinen Armen und Beinen herumgenestelt wurde, er vernahm die Stimme einer Frau, ohne sie zu verstehen, und keuchte auf, als kräftige Hände damit begannen, das Leben in ihn zurückzumassieren: Jeden Arm und jedes Bein einzeln, dann Rücken und Brust in kräftigen Strichen, auch sein Bauch wurde nicht geschont. Wie er das Blut in den Gliedern spürte, kehrte der Schmerz wieder, sodass er sich bald fühlte, als würde er mit dem ganzen Körper in brennenden Dornen liegen.
Wie von Eyvind damals wurde ihm erneut etwas eingeflößt, er schmeckte es kaum, obwohl es süßer, warmer Met war. Nachdem er fest in eine Decke eingeschlagen worden war, wurde sein Haupt auf ein Kissen gebettet, und er blickte halb tot in ein kleines Feuerchen, in dem ein Tonkrug stand. Eine Hand von unbeschreiblicher Weichheit streichelte ihm über die Wange, und nun verstand er die Worte, die dazu geflüstert wurden:
»Alles ist
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