Die Magie des Falken
verspürte ein Hochgefühl, wie er es seit dem Morgen nach seiner Weihe zum Seimann nicht mehr erlebt hatte.
Sorgsam flocht er etwas Kraut zu einem kurzen Zopf und entzündete ein Talglicht. Sodann mischte er einige Samen in den starken Met, den er in einem kleinen Döschen mitgenommen hatte, hielt den Deckel fest darauf und erhitzte es über der Flamme. Stäbe und Steinchen lagen griffbereit vor ihm.
Es war so weit. Die ganze Zeit über hatte Kyrrispörr sich ganz auf den leisen Gesang konzentriert und seine Handlungen am Rande seiner bewussten Wahrnehmung vollzogen, sodass seine Umgebung zu einem Nebel verschwamm. Er spürte, wie die Geister an seinem Gesang Wohlgefallen gefunden hatten und ihm nun ihre Kraft zu schauen gewährten, wie die Entrückung von ihm Besitz ergriff, sein Körper gleichsam schwerelos wurde, ihm Schauer über den Rücken herauf- und herunterjagten und Tränen seine Augen füllten. Noch genügte ein Gedanke, und die Geister würden wieder von ihm abfallen. Vorsichtig verstärkte er sie, begrüßte den Druck auf den Augen und förderte die Eisschauer auf der Haut, nahm langsam, um den errungenen Zustand der Entrückung nicht zu gefährden, den Deckel von dem Döschen, atmete die Metdünste ein und hieß das Stechen des Alkohols in der Nase willkommen, trank es in einem Zug leer und zerbiss die Körner, ehe er auch sie schluckte.
In seinem Magen explodierte eine Sonne. Er erbebte wie unter einem Hammerschlag. Mit einer Gewalt, der kein Sterblicher hätte widerstehen können, wurde er emporgerissen, und unter ihm verschwamm Heiabýr zu einem Flecken im Grün der Heide am silbernen Band der Schlei, und dann sah er viele Männer mit Äxten und Bögen und Schwertern und runden Schilden, Gruppen, an deren Spitze behelmte Krieger ritten, die allesamt auf Niaros zustrebten. Der Name trat plötzlich in Kyrrispörrs Gedanken, Niaros. Er spürte Entschlossenheit, aber auch Neugier und Erwartung, diese Männer waren bereit zum Kampf, aber sie würden ihn nicht beginnen. Von der See her kam ein großes Drachenschiff, im Geleit eine Flotte, von der Kyrrispörr jedes einzelne Boot benennen konnte und mindestens die Kapitäne dazu: Gleißend warf der goldumsponnene Helm Olaf Tryggvasons, Christ, Mörder an den Seimenn, König kraft Abkunft von Harfager und mehr noch kraft seiner Arme das Sonnenlicht über das Wasser. Er trat auf den Þingplatz zu. Derweil vereinten sich die vielen Gruppen zu einer Streitmacht, oder nein, eine Streitmacht waren sie noch nicht, sie waren die Gefolgsleute der Bœndi, die – mit Stolz in den Augen, in pelzverbrämte Gewänder gehüllt, die arbeitsgewohnten Hände von Großbauern auf die verzierten Hefte ihrer Schwerter gelegt – zum Þing schritten. Ihre Frauen gingen an ihrer Seite, die nicht minder kostbar gekleidet ihren Herrschaftsanspruch über Glasperlenketten zwischen silbertauschierten Fibeln verkündeten und so die wahren Herrscher der Höfe waren. Wenn sie mitkamen, musste es sich um ein Þing von wahrhaft großer Tragweite handeln. Ihnen allen voran ritt, flankiert von pelzverhüllten Wolfsmaskenträgern, eine Gestalt, die sie alle an Macht überstrahlte und doch aussah wie ein gewöhnlicher älterer Großbauer. Kyrrispörr verspürte etwas Vertrautes beim Entdecken des Reiters. Er versuchte ihn zu erkennen und wurde von einer Kraft zurückgeschleudert, als sei er gegen eine Eiswand geprallt, und die beiden Wolfsmaskierten schienen zu ihm aufzusehen; doch dann schmolz das Eis für ihn, nicht, weil er sie hätte bezwingen können, sondern weil sie ihm sich zu nähern erlaubten. Da erkannte er in jenem Reiter den Jarnskegge, seinen Paten, und hinter ihm die Gurun neben ihrer Mutter, eine Schönheit neben einem handfest gebauten Weib, bei dem die Schönheit der Jungen noch zu erahnen war. Kyrrispörr sah, wie die Bœndi mit Jarnskegge als ihrem Wortführer auf der einen Seite standen und König Olafr auf der anderen. Er spürte des Königs Missfallen, als er erkannte, dass die Bœndi in Waffen und voller Entschlossenheit gekommen waren, und ehe Kyrrispörr durch die vereinte Willenskraft der Männer des Königs abgedrängt wurde, erkannte er König Olafs Entschluss, den er schon jetzt, bevor das Þing begonnen, gefasst hatte; ein Entschluss voller Unwillen und Trotz, gleich einem Wolf, der von der unerwartet starken Beute ablässt. Die Kreuze in den Händen von Olafs Klerikern neigten sich zurück, und Kyrrispörr wusste, dass Olafr die Heiden hatte bekehren
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