Die Magie des Falken
sich.«
Kyrrispörrs überwältigter Gesichtsausdruck war ihm Antwort genug.
»Ah, endlich einer, der weiß, was er tut, und seine Arbeit lebt! Ich bin hier von Dummköpfen umgeben, mssst du wissen! Ich gehe sofort zu Ketil!«
Noch am gleichen Abend fand Kyrrispörr sich im kleinen Kreis von Ketil und seiner jungen Frau, Hárva und den Kindern wieder. Hárvas Frau Vigtis hatte einen Topf in Fett gebratener Pflaumen gemacht, dazu Pferdebohnen und Quark. Kyrrispörr hatte seinen Holzlöffel vom Gürtel genommen und ließ es sich schmecken.
»Du weißt wohl, dass ich dich nicht gern gehen lasse«, sagte Ketil zu Kyrrispörr.
»Eben darum möchte ich ihn ja haben«, erwiderte Hárvar. »Er ist eben begabt!«
Ketil warf einen Blick zu Kyrrispörr hinüber, der so tat, als habe er das Lob nicht gehört.
»Aber ich kann mir doch denken, dass er bei dir nicht recht Freude hätte. Man sagt sich, er komme deinen Sklavinnen nicht einmal nahe. Dabei sind sie doch der beste Grund, bei dir zu arbeiten!«
»Was weißt du denn davon! Dafür prüft er mir die Knaben, und ich kann mir das ersparen.«
»Nun ja. Ich erwarte allerdings bald einen Fernhändler aus Arabien. Er kommt regelmäßig und begutachtet die Falken. Wenn er ein gutes Geschäft gemacht hat, ist er in Kauflaune … Nun habe ich einen einzigartigen weißen Falken bekommen«, er nickte Kyrrispörr zu, »und ich bin mir sicher, er wird sich auch zu einem Abstecher zu deinen blonden Schätzen überzeugen lassen.«
»Er kauft?«
»Oh ja. Und es gibt gutes Silber. Und seltene Ware natürlich. Außerdem habe ich viel Besuch, seit er meine Vögel zu schätzen gelernt hat. Allerdings …«, er zwinkerte Ketil zu, »die Geschichte mit dem Ger muss ich dir ja nicht erzählen. Araber lieben Geschichten. Ganz besonders, wenn der Held selber vor ihnen steht. Zudem … wer will schon einen Falken, der ständig abspringt? Nun, bei Kyrrispörr hier bin ich sicher, dass der Ger dasitzen wird wie eine Statue.«
»Ist dein Händler wirklich so viel wert, dass ich dir Kyrrispörr dafür gebe?«
»Wenn er nicht eine … Probe bei dir ersteht, kommt Kyrrispörr am nächsten Tag zu dir zurück. Abgemacht?«
Kyrrispörr schob sich eine Backpflaume in den Mund, leckte sich die Finger ab und beobachtete fasziniert, wie die beiden Männer ihn bei ihrer Verhandlung hin- und herschoben wie eine Spielfigur auf einem Brett. Er begriff, dass Hárvar nicht nur traumhaft schöne Falken hatte, sondern auch ein überaus geschickter Händler war. Ketil stand ihm darin in nichts nach; die Aussicht, einen einflussreichen arabischen Händler zu bekommen, war für ihn letztlich so vielversprechend, dass er schließlich in den Handel einschlug. Auch wenn Kyrrispörr sich selbst ein wenig vorkam wie ein Þræll, der gerade weiterverkauft worden war, hüpfte sein Herz vor Freude, als Hárvar und Ketil den Handel mit einem Becher Met besiegelten. Er würde hierbleiben, bei den Falken, den Vögeln, die er über alles liebte – wenngleich sie ihn auch immer an Laggar erinnerten und dieser Gedanke nichts von seinem Schmerz verloren hatte.
Die kommenden Tage vergingen für Kyrrispörr wie in einem schönen Traum – endlich hatte er das Gefühl, wieder einen Ruhepunkt gefunden zu haben. Er kümmerte sich täglich um die Vögel und liebte es, sie nach Bedarf in Kondition zu bringen, die einen mit mehr Futter hochzunehmen, wenn sie mauserten oder Ruhephasen hatten, die anderen tief genug zu halten, sodass sie beim Training und bei den Probeflügen den bestmöglichen Flugantrieb zeigten. Er wies die Þrælls zurecht, wenn sie wieder nachlässig wurden, und konnte eine gewisse Befriedigung nicht verhehlen, wenn er den stets mürrischen und immer etwas faulen Lehrjungen antrieb. So war er eigentlich genau dort angekommen, wo er hatte ankommen wollen. Eigentlich. Denn eines war er nicht: Zu Hause. Dabei wusste er ganz genau, dass er seit dem Verlust seines Dorfes keinen festen Platz als sein Heim mehr hatte, aber gerade deshalb ahnte er, dass er nur dort heimisch war, wo Laggar lebte … und vielleicht, ja bestimmt, auch Æringa.
Über eine Woche nach der Errettung des weißen Gers, an einem nebelverhangenen Tag, ging Kyrrispörr zur Oberstadt, wo er Holzlatten für eine Vogelkiste holen sollte. Es war eine Sackgasse aus festgeklopftem Lehm, zu beiden Seiten gesäumt von den Wänden einfacher Häuser. Das Holz lehnte in einem Bündel zur Linken. Er bückte sich, um einige Latten aufzuheben.
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