Die Magie des Falken
Hárvar würde ihn aus Heiabýr jagen, wenn er diesen Händler verärgerte. Es tat ihm in der Seele weh, wie Heinrich den Saker grob am Geschüh packte und dazu zwang, sich auf seinen Handschuh zu setzen. Der Falke schlug mit den Flügeln und sprang zwei-, dreimal ab, nur um von Heinrich in grobem Schwung wieder auf die Faust geholt zu werden. Sie kehrten zu Hárva zurück. Heinrich legte, ohne zu murren, Silber in die kleine Balkenwaage, bis es dem Fünfstern entsprach, und zog von dannen.
Am Abend, als er die Vögel in ihren Stall zurücktrug, hatte Kyrrispörr immer noch ein schlechtes Gewissen. Unablässig musste er an die grobe Behandlung des Vogels denken. Aber er hatte keine Wahl gehabt: Dieser Heinrich war schließlich nicht irgendwer, es war einer der Hoflieferanten der deutschen Fürsten. Und Hárvar war mit dem Geschäft höchst zufrieden gewesen. Schon allein der Sack Rohrzucker aus Sizilien war ein Vermögen wert. Unglücklich legte sich Kyrrispörr zu Bett. Da arbeitete er wieder mit Falken, wie in alten Zeiten, aber da hatte er die Vögel für König Olaf abgetragen und nicht allein zum Tausch gegen Zucker und dergleichen. Er fühlte sich, als habe er die Greifvögel, ja, Laggar selbst verraten. Schon der Anblick der Gefiederten in ihren engen Boxen erfüllte ihn mit Schmerz, und obwohl er sich bemühte, jeden von ihnen täglich draußen auf die Recks und Böcke zu stellen, gab es doch einige, die fast nie Tageslicht sahen. Einige von ihnen hatten schon völlig verbinztes Gefieder und hockten schlaff auf ihren Blöcken, die hätte er vielleicht mit etwas Flugtraining zu ganz guten Jägern aufgepäppelt, aber Hárvar verlangte, dass die guten Flieger gefordert wurden, nicht diese. Das tat Kyrrispörr noch mehr weh, da er fürchtete, dass es seinem Laggar vielleicht ähnlich ergehen würde wie diesen Vögeln hier. Oft wanderte er abends, wenn die Tiere versorgt waren, ziellos durch Heiabýr und war vor Sorge ganz niedergeschlagen; hinzu kam das brennende Bedürfnis, Æringa wiederzusehen. Hatte sie vielleicht schon einen anderen? Wie erging es ihr? Die Ungewissheit lastete schwer auf Kyrrispörr. Immer wieder zwang brennendes Verlangen seine Hände des Nachts unter die Decke, was ihm aber keine Erleichterung verschaffte, sondern es nur noch mehr anwachsen ließ, gepaart mit zunehmenden Schuldgefühlen Æringa gegenüber.
Bald bemühte er sich, sich vor dem Zubettgehen in seinen Falken hineinzuversetzen. Zuerst hatte er den Gedanken schnell beiseitegeschoben, in der Angst, Agantyr könne seine Drohung wahr machen, aber dann war das Bedürfnis einfach zu groß geworden, es zumindest zu versuchen. Außerdem wurde damit das Verlangen geringer, Hand an sich zu legen. Und er wollte ja nicht für andere Magie wirken …
So suchte er auch an diesem Abend die Versenkung allein durch Konzentration zu erlangen, denn singen oder laut beten konnte er hier natürlich nicht. Er verspürte ein Kribbeln im Hinterkopf, so, als würden Ameisen über die Innenseite seiner Hirnschale wandern. Im nächsten Moment war es ihm, als schösse Glut durch seine Adern; er merkte noch, wie er sich unter der Decke aufbäumte und ins Hohlkreuz ging, siedend heiß und eiskalt zugleich wurde seine Stirn, dann fühlte er sich erneut schwerelos. Auf einmal war ein Rabe neben ihm und wies mit dem Schnabel auf einen hellen Fleck im Nichts, und Kyrrispörr war es, als stürze er aus großer Höhe auf einen Þingplatz zu, diesmal war es nicht Niaros, und auch Jarnskegge konnte er nirgends entdecken; da waren auch keine Bewaffneten, wenigstens nicht auf der einen Seite. Ihnen gegenüber stand eine große Zahl Männer, ebenso unbewaffnet, und aus ihrer Mitte trat der Mann mit dem Goldhelm und sprach den Sprecher der anderen an. Er wies auf ein riesenhaftes Kreuz der Christen, der andere schüttelte den Kopf; da zogen Olafs Männer Schwerter und Äxte und Bögen aus ihren Gewändern, und die Bœndi erkannten, dass sie es mit Olafs Heer zu tun hatten. Kyrrispörr konnte ihre Furcht spüren. Da nickten sie, und Olafs Mannen banden sie und hielten sie fest, bis Boten mit ihren Söhnen kamen und Sohn gegen Vater getauscht wurde, Unterpfand für König Tryggvason, dass die Bœndi fortan gut christlich und vor allem als treue Untertanen leben würden. Der Rabe zupfte an Kyrrispörr und machte eine Kopfbewegung fort vom Geschehen, derweil das Kreuz Nebel übers Bild legte und Kyrrispörr abdrängte.
Schweißgebadet wachte er am nächsten Morgen
Weitere Kostenlose Bücher