Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Sie wünschte sich einen Moment lang, sie hätte sich gar nicht an den alten Bettler und sein Gebrabbel erinnert. »Mach dir seinetwegen keine Sorgen, Artie. Es war nur ein törichter Streich. Kein Grund, ihn so ernst zu nehmen.«
Er richtete den Blick auf sie. Sie hatte ihn nie zuvor so grimmig gesehen. Die Kälte der Furcht sickerte ihr in die Poren, und so schlang sie die Arme reflexartig um ihren Körper.
»Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss, Mädchen. Etwas, das ich dir gestern Nacht schon hätte erzählen sollen, als ich Gelegenheit dazu hatte. Aber ich kann es nicht vor so vielen neugierigen Ohren tun.«
Er sah sich im Raum um und stutzte dann, den Kopf von Falkin abgewandt. »Bei allen Stacheln auf Pantheus’ Rücken!« Binns sah sie wieder an. Das alte Grinsen war zurück, als hätte es den seltsamen Augenblick gar nicht gegeben. »Vielleicht wird sich aber auch alles so entwickeln, wie es das sollte.«
Sie warf einen Blick in die Richtung, in die Binns sah. Ihr Brustkorb zog sich zusammen; diese Anspannung war sie mittlerweile gewohnt.
Ein junger Mann lehnte am entgegengesetzten Ende der Theke, nippte an einem Becher und beobachtete den Schankraum. Er war groß und langgliedrig, mit langem, dunkelblonden Haar, das zu einem Schwanz zusammengebunden war, der ihm über eine Schulter fiel. Dazu war er gut gekleidet – in Stiefel, die ihm bis halb über die Oberschenkel reichten, und einen schwarzen Umhang, der fast bis zum Boden hing und beinahe den vorspringenden Degengriff an seiner Hüfte verdeckte.
Bei der Blutigen Grace und all ihren Peitschen , dachte sie. Wie zur Hölle hat er mich gefunden? Und was will er? Diesmal konnte sie keinen ihrer Tricks einsetzen, um davonzukommen. Der Raum war zu klein – zu einfach wäre es da für die Leute gewesen zu bemerken, was sie tat. Er hatte sie noch nicht angesehen; sein Blick schien starr nach vorn gerichtet. Er sah unschuldig drein, wie ein Mann, der nur kurz haltmachte, um etwas zu trinken, nichts weiter. Gerade dieses lässige Auftreten sorgte aber dafür, dass sie ihm nur so weit über den Weg traute wie einer wütenden Katze. Sie bekam eine Gänsehaut.
»Sag nichts zu ihm«, flüsterte sie.
Binns beugte sich näher zu ihr. »Warum nicht? Was soll er hier schon tun, vor einem Dutzend Zeugen?«
Sie riskierte noch einen Blick. Der Mann hatte sie offenbar noch immer nicht bemerkt; das etwas laute Kartenspiel auf der anderen Seite des Raums hatte wohl seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Würfelspieler waren verschwunden; ihre Würfel und der Becher waren auf dem Tisch zurückgeblieben. »Er wird warten, bis wir auf der Straße sind, uns in Ratten verwandeln und dann einfach weitergehen, als wäre nichts geschehen.«
»Unsinn. Also konnte er dich ohne Fernrohr sehen. Woher willst du wissen, dass er nicht einfach gute Augen hat oder etwas in der Art?« Er setzte sich auf und winkte dem Schankknecht mit drei Fingern zu.
»Was tust du da?«
»Ich bestelle für meinen neuen Freund etwas zu trinken.«
Er hatte den Verstand verloren. Sie fragte sich, ob sie ihrem Kapitän hätte erzählen sollen, dass sie den Mann vorhin schon auf der Marktstraße gesehen hatte. Obwohl Olympia ihr versichert hatte, dass er jedenfalls kein Magus war, von dem sie je gehört hatte, machte Falkin die Wirkung, die er auf sie hatte, nervös. Danisober oder Abtrünniger oder gewöhnlicher Seemann – was er war, wusste sie nicht, aber was sie ganz sicher wusste, war, dass er Ärger bedeutete. Wenn sich Binns nicht von seinem gefährlichen Kurs abbringen ließ, würde sie sich zumindest nicht daran beteiligen. »Tu, was du willst«, murmelte sie. »Ich gehe zurück auf die Vogelfrei . Und wenn man dann nie mehr etwas von dir sieht und hört, werde ich in die Stadt kommen und auf die Jagd nach einer grauhaarigen Ratte gehen. Vielleicht finde ich dich ja, bevor eine Katze es tut.«
Bevor sie weggehen konnte, packte ihr Kapitän sie am Ellenbogen und zog sie enger an sich. »Denk nicht einmal daran. Du bleibst schön hier.«
Der Schankknecht war gerade damit fertig, die drei Becher zu füllen, und setzte sie nun ab. Binns schnippte ihm eine Münze zu und schob Falkin einen Becher in die Hand. »Deine Meinung ist mir wichtig, Mädchen, aber du gehst ein wenig zu oft davon aus, dass du recht hast. Nicht jeder ist ein Bösewicht, und nicht jede Situation ist eine Falle.« Er ließ eine weitere Münze aufblitzen und machte so den Schankknecht auf sich aufmerksam. »Trag
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