Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
diesen letzten Becher zu dem Herrn dort drüben, mit schönen Grüßen von mir.«
Der Schankknecht nickte. Er hob den frisch gezapften Becher hoch und lieferte ihn bei dem jungen Mann ab, indem er mit der Hand auf Falkin und Binns deutete. Der Mann sah überrascht drein, wandte sich dann aber den beiden Piraten zu, hob den Becher und lächelte zum Dank.
Binns grinste seine Maatin an. »Siehst du? Bloß ein Seemann, ganz wie wir.«
Wenn er bloß ein Seemann ist, bin ich die Blutige Grace persönlich , dachte Falkin. Er sah gewiss harmlos genug aus, wie er da an der Theke lehnte und das Bier genoss. Die Stiefel waren poliert und sein Haar, frisch gewaschen und gekämmt, glänzte im warmen Licht des Schankraums wie Altgold. Allem Anschein nach war er ein eitler Geck, der für niemanden außer sich selbst eine Gefahr darstellte. Aber das wollte nichts heißen – jeder Magus, der sein Handwerk verstand, konnte sich unverfänglich geben, wenn es seinen Zwecken dienlich war.
Fest umklammerte sie den Griff ihres Bechers und schloss die Augen. Es war schon so viele Jahre her, dass sie zuletzt einen Magus gesehen hatte – und doch reagierte sie noch immer wie das verängstigte Straßenkind, das sie gewesen war. Das war einfach lächerlich. Sie war eine Kriegerin und in der Lage, sich zu verteidigen. Ein Magus benötigte eine gewisse Zeit, einen Zauberspruch vorzubereiten – eine Zeit, in der sie ihm leicht die Kehle aufschlitzen konnte. Wie viele Männer waren schon auf ihrer Degenspitze gestorben? Und was war denn ein Magus, wenn nicht ein Mann, der Geheimnisse zur freien Verfügung hatte? Ihre Befürchtungen waren grundlos. Sie war jetzt eine erwachsene Frau und dazu noch eine Piratin. Es war also an der Zeit, sich auch wie eine zu benehmen.
Da öffnete sie die Augen wieder und sah, wie Binns losging, auf den geheimnisvollen Mann zu. Hochmütig hob sie das Kinn und folgte ihrem Kapitän, den linken Daumen so in den Gürtel gehakt, dass sich ihre Hand nur ein paar Zentimeter von ihrem Linkshänderdolch entfernt befand. Sollte der Stutzer doch versuchen, irgendeinen Zauber zu wirken! Er würde schon ihre Klinge am Hals haben, bevor er auch nur ein Wort hervorbrachte.
Binns hatte den Fremden erreicht, ergriff nun seine Hand und schüttelte sie kräftig. »Einen schönen guten Abend, mein braver Mann«, säuselte er mit übertriebenem Oberschichtenakzent. »Ich bin Artemus Binns, Kapitän der Vogelfrei .«
»Herzlichen Dank für Eure Freundlichkeit.« Der junge Mann ließ seine Hand aus Binns’ Griff gleiten, warf sich den Umhang um und verneigte sich höfisch, so dass ihm das lange Haar anmutig über die Schultern fiel. »Philip McAvery. MelaDoana ist meine Heimat, und ich bin nun Kapitän des Schiffes Thanos .« Er richtete sich wieder auf; seine Augen funkelten, als sie Falkins Blick begegneten. »Ist das etwa Eure Tochter, mein Herr?«
Binns klopfte ihr gönnerhaft auf die Schulter. »Ach, wäre es doch so, mein Junge! Das hier ist Falkin, meine Maatin und« – er zwinkerte ihr zu – »politische Beraterin.
Einen besseren Seemann werdet Ihr auf den ganzen Neun Inseln nicht finden!«
McAvery streckte die Hand aus, aber Falkin verschränkte die Arme und wich einen Schritt zurück. Ganz gleich ob er ihr die Hand küssen oder nur schütteln wollte, sie würde nicht zulassen, dass er sie berührte.
Nach einem angespannten Moment zog McAvery die wartende Hand zurück. »Es freut mich sehr, Euch von Angesicht zu Angesicht zu treffen, meine Dame. Ich muss zugeben, dass ich dachte: Was für eine gut aussehende Frau Ihr doch seid! Das war, als ich Euch gestern Nacht sah, und mehr noch heute Morgen auf dem Markt. Aber bis zu diesem Augenblick« – er zog eine Augenbraue hoch – »hatte ich noch keine Vorstellung davon, wie liebreizend Ihr … mir jetzt wirklich erscheinen würdet.«
Binns’ Lippen zuckten. »Ihr seid einander heute Morgen über den Weg gelaufen? Seltsam, Falkin hat das gar nicht erwähnt.«
Falkin beachtete ihn gar nicht. »Wie ist es Euch gelungen, mich gestern Nacht zu sehen?«, fragte sie, von Neugier übermannt.
»Na, aber natürlich mit den Augen! Wie sonst sollte man denn etwas sehen?« Unschuldig riss er die Augen auf und lachte dann. »Ich hatte ein Fernrohr, ganz wie Ihr.«
»Ihr hattet aber kein Fernrohr in der Hand.«
»Ich hatte bloß … nasse Hände – das Fernrohr ist mir darum immer wieder aus der Hand gerutscht. Es ist ein Wunder, dass es nicht zerbrach, so oft, wie ich es
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