Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Tom nickte stumm und drehte wieder das Steuerrad, um die Thanos ein paar Meter näher an die Vogelfrei heranzubringen. Eine hilfreiche Brise kam auf, drückte gegen die riesigen Segel der Thanos und sorgte dafür, dass sie wie ein unzugerittenes Pferd einen Satz vorwärts machte. Der Abstand war ungefähr richtig. Etwas Besseres konnte sich Falkin gar nicht wünschen.
Sie schritt zur Kante der Leiter und beugte sich über das Hauptdeck. »Steuerbordkanonen abfeuern!«
Sie hörte, wie der Befehl unten weitergegeben wurde; Sekunden später folgte der heftige Donner der Kanonen, die Rauch und Feuer ausspien. Das Deck erzitterte unter ihren Füßen. Falkin schluckte das Lachen herunter, das aus ihr hervorzubrechen drohte. Sie hatte das Hämmern der Kanonen schon früher unter sich gefühlt, aber nie in solch samtiger Ruhe. Dies hier ähnelte ganz und gar nicht dem markerschütternden Ruck, der sonst durch die Schaluppe gegangen war. Eher dem Herzschlag eines riesenhaften Tiers, langsam und kräftig. Die Thanos war stark genug, mehrere Kanonen auf einmal abzufeuern, ohne dass der Tee in der Tasse des Kapitäns in Unruhe geriet.
Falkin blickte über das Wasser zu ihrem Ziel hinüber. McAvery rannte zur Luke mittschiffs und brüllte irgendetwas, während sein Umhang hinter ihm her wehte. Wahrscheinlich versuchte er seinen Matrosen beizubringen, wie sie die Kanonen bedienen konnten. So, wie er mit den Armen fuchtelte, schien er in Panik zu sein. Gut. Verfluchter, schiffestehlender Dreckskerl. Es wurde auch Zeit, dass er erlebte, wie es war, um sein Leben zu rennen und seine Pläne auf den Felsen zerschmettert zu sehen. Sie lächelte, ihr Mund war vor unterdrückter Wut ganz angespannt. Noch eine Salve aus den Kanonen unter Deck würde ausreichen – dann würde dies hier vielleicht so enden, wie es sollte.
Ihr Ruf klang beim zweiten Mal lässiger. »Noch einmal, Jungs! Steuerbordkanonen abfeuern!«
Sie erschauerte und genoss ein weiteres Mal das aufregend neue Gefühl, auf einem Kriegsschiff im Kampf zu sein. Ich könnte mich schnell daran gewöhnen , dachte sie gierig. Aber es ist nur für eine begrenzte Zeit. Du kannst die Thanos nicht behalten, also häng dein Herz auch nicht daran .
Falkin konzentrierte ihren Blick auf die Schaluppe und versuchte, die ungebetenen Gedanken zu verscheuchen. McAvery hätte die Stückpforten öffnen und zu feuern versuchen sollen – aber sie blieben geschlossen. Eine kleine Schar von Männern zog etwas Schweres von unter Deck hoch. Einen Kasten oder eine Kiste, sie konnte nicht genau erkennen, was es war. McAvery hielt ein kleineres Kästchen unter den Arm geklemmt, gestikulierte aber wild mit der freien Hand.
Der Seemann am Steuerrad hatte offensichtlich Schwierigkeiten, die Schaluppe zu kontrollieren. Sogar aus der Entfernung sah Falkin, wie angespannt seine Arme waren, wie besorgt sein Gesicht wirkte. Er stemmte die Füße aufs Deck und rang darum, die Vogelfrei auf Kurs zu halten. Aber die kleine Schaluppe war nicht robust genug, mit der Strömung zurechtzukommen. Die Seite der Schaluppe schrammte über den scharfen Granit eines nahen Zahns. Ein Krachen und Wimmern klang durch die Luft und Falkin zuckte zusammen. Was für Idioten ließ McAvery da bloß ihre Schaluppe segeln? Und warum befahl er dem Rudergänger nicht wegzusteuern?
Ein weiterer Zahn ragte direkt vor der Vogelfrei auf. McAverys Rudergänger würde das Steuer entweder scharf herumreißen müssen oder riskieren, geradewegs auf den gewaltigen Felsen aufzulaufen. Er riss am Steuerrad, aber nicht kräftig genug. Statt eine enge Kurve darum herumzufahren, prallte die kleine Schaluppe gegen den riesigen, vorspringenden Felsen – wie ein Ball gegen eine Steinmauer. Die Vogelfrei war für solche Misshandlungen einfach nicht gebaut. Falkin rechnete beinahe schon damit, sie an den Fugen auseinanderklaffen zu sehen, als der Aufprall erfolgte.
Sie trat an die Reling und holte tief Luft. »Ahoi, Schiff!«, brüllte sie. »Ergebt ihr euch?« Aber die Männer an Bord der Schaluppe schienen nichts zu hören. Der Morgenwind, gepaart mit dem Rauschen und Spritzen der Wellen, ertränkte ihre Stimme.
McAvery hatte endlich bemerkt, dass sein Rudergänger in Schwierigkeiten war. Er rannte zu dem Mann hin, stieß ihn beiseite und übernahm das Steuer selbst. Er zerrte an den Griffen des Steuerrads und versuchte, das kleine Schiff besser zum Wind und von den bösartigen Steinen fort zu drehen, aber seine Bemühungen kamen zu spät. Mit
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