Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
knappe, silberbestickte eines jugendlichen Toreros, einen namenlos-nebelhaften Stier attackierend, der aus der glatten Ölfarbenfläche der Zimmerwand hervordrohte. Überrannte ihn der Stier? Oder wurde er gefällt? – Dies bösartige Gespenst, das das Rätsel seines Lebens zwischen den quälenden Hörnern trug?
Plötzlich wechselte die Art seines Atmens; es wurde schneller, ohne daß er sich sonst rührte. Schließlich zischte es rhythmisch über die trockenen, halboffenen Lippen wie das eines träumenden Jagdhundes. Ganz schnell zuletzt; unwahrscheinlich schnell. Magda legte ihre Hand auf seine Stirn, es half nichts. Trockene kleine Laute kamen aus seiner Kehle. –
Es war ein Symptom des Erwachens; aber dies Erwachen war nicht in diese ruhige Lampen- und Schwesternwelt hinein, sondern in eine andere grauenvollere hinter der Schwelle. Seine Augen öffneten sich weit und immer weiter. »Max!« sagte sie; er hörte nichts.. Er hatte nur Augen und Ohren für das Geschehnis hinter der Schwelle.
Nun gurgelte er, nun fuhr er mit den Händen nach der Kehle, als wolle er eine würgende Faust abwehren. Das war, erkannte Magda, die üble salzige, auslöschende Klammer des Wassers .
Wieder und wieder schwankte es in seinen Träumen auf ihn zu. Zuerst kam die breiig-splitternde Explosion der Mine mit einer schmutzig-silbernen Schaumgarbe von Himmelshöhe – – dann kam Blut – – und dann kam Angst. Vielleicht entglitt ihm gerade ein Stück einer Deckplanke, und er sah einen faulig-grünen Wellenberg . . . Er sah den brodelnden Tod.
Seine Arme wurden schwer wie vollgesogene Schwämme, und die Ameisen der Vernichtung wimmelten in seinen Adern und zupften an seinem Magen, an seinem Herzen, das ihnen nachzugeben drohte wie fallendes Blei . . . Er mußte unsagbar leiden. –
»Max!« schrie sie laut in sein Ohr und rüttelte ihn. Er verdrehte die Augen wie ein Sterbender, so daß der Perlmutterglanz des Apfels weiß hervortrat. Dann sanken die Lider herab, um sich gleich darauf wieder zu öffnen. Er war wach.
Er schlang die Arme um sie und riß sie zu sich herab. » Dolores «, jammerte er. Und dann kam eine Flut von spanischen Worten. Dieser flüsternde, heisere, hastige Erguß dauerte vielleicht eine Viertelstunde. Sie rückte am Schirm der Lampe; er schien sie plötzlich zu erkennen. Er fand deutsche Worte. – »Magda!« sagte er auf einmal langsam. »Du bist da. – Das ist gut.«
Sie trocknete ihm den Schweiß ab; er setzte sich auf.
»Na, mein Lieber,« meinte sie und küßte ihn, »du mußt jetzt nicht mehr daran denken. Es war wohl kein schönes Erlebnis da auf dem Zerstörer, aber deine Rolle in der Marine ist vorläufig ausgespielt. Wir behalten dich jetzt bei uns. Lange kann das ganze Unglück ja nicht mehr dauern. Es wird zuviel . . .« Sie saß perlblaß, und ihr siebzehnjähriger Mund stand offen, als sei sie plötzlich überrumpelt von einem (scheinbar lange verstummten) Entsetzen; dem Entsetzen über vier Jahre Mordens und sinnlosen Vergeudens unwiederbringlicher Werte . . . Das aschblonde Haar trug sie, immer noch als Zopf, um den Kopf gewickelt, es war fast zu schwer und schimmerte metallen. Es hatte sich halb gelöst, und eine Strähne bebte auf der knapp umkleideten jungen Brust. Sie wischte mit dem Zeigefinger das Naß an ihrer Nase herab, doch auf diesem vorgezeichneten Weg, in die blutarme Lippe hinein, sickerte es neu und feucht herab – – das große, große Bedauern über all dies unmeßbar Törichte und Trübe.
»Was hast du da alles gesagt, Max? – War es nicht Spanisch?«
»Wie komisch, daß du mich Max nennst. Ich heiße doch eigentlich gar nicht Max.«
Ihr Profil wurde scharf und gespannt, wie ehedem auf dem Balkon. – »Nun? – Wie heißt du?«
»Juan«, sagte er müde. »Juan Garcia . . . Garcia de la Huerta.«
»Hast du das geträumt?«
»Nein, das ist wahr. Ich weiß jetzt alles. – Denke dir, Magda – – ich weiß alles!! « –
Sie schnellte empor. »Wie!?« keuchte sie . . . »Dein ganzes früheres Leben?!«
Er nickte ältlich. – »Alles«, wiederholte er still. –
Sie lief, ihre verschränkten Finger schier aus den Gelenken dehnend, vor Erregung im Zimmer ziellos hin und her. –
»Was soll ich tun?« stammelte sie. »Was soll ich tun . . . Juan?!«
»Das ist doch klar«, sagte er fast pedantisch. »Geh' zum Telephon und laß dich mit dem Konsulat von Chile verbinden!«
»So, so . . . also Chile . . . Gleich, Max,
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