Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
sangen zart:
»
Buenos dies, Señor Juan no Sol
«
– – – Hier erwachte Max. – Hinter dem offenen Fenster brummelte es . . . Murrten die Wolken, oder wurde irgendwo ein Auto in die Garage getrieben wie ein unmutiger Hund? Max starrte auf einen wandernden Lichtschein an der Zimmerdecke. »Juan in der Sonne«, dachte er sehr erschrocken, und sein Herz pochte wild. Nach einer halben Stunde schlief er wieder. Alsbald stellten die beiden Farbigen sich wieder ein, grüßten scherzhaft und fügten wie zu abgebrochener Strophe das Ende hinzu, in Deutsch:
». . . und Kleinhuhn im Monde!«
Flugs war da statt der Plaza ein Hof, und ein Mädchen kam, das eine Hühnerschar vor sich hertrieb, darunter den Hahn Juan, der in die Sonne gehörte. Also war mit »Juan« der Hahn gemeint, und nicht Max. – Über diese Tatsache amüsierten die beiden Farbigen sich ganz gewaltig. Max ärgerte sich; dann tröstete ihn das Mädchen, das Magda glich. Auf einmal war sie aber seine Schwester, hatte einen rotblonden Zopf und küßte ihn schwesterlich. Merkwürdigerweise ging sie auf den Zehenspitzen und deutete nach dem Balkon. Dort, unerreichbar hoch, saß seine Mutter unter der rotweißen Markise . . . Max hörte seine Schwester flüstern: »Ich würde sie ja warnen, daß das Wasser kommt; – aber wir dürfen sie ja nicht stören!« Dann kam ein Rauschen; doch die Mutter saß so unbeteiligt wie auf einem Thron. Das Rauschen wurde stärker und zugleich seine Sehnsucht, zur Mutter zu gelangen. – Schon mußte er waten, und auch die Schwester stand bis zur Brust im Wasser. »Mama!!« schrie er und mühte sich ab, am Balkon in die Höhe zu klettern . . . »Das Wasser! – Das Wasser!!«
– – – Mit diesem jammernden Schrei wachte Max wieder auf. Er lag, in einer Atmosphäre von Lavendelessenz, am uferlosen Busen Frau Ziehlkes, die ihn murmelnd zu beruhigen trachtete. Sie saß neben ihrem Bett auf dem Stuhl. In der Tür erblickte er eine Gestalt in fußlangem Nachthemd, die er zunächst noch mit seiner »Schwester« verwechselte . . .
Frau Ziehlkes Herz hatte stillgestanden, als sie einen Schatten in ihrem Schlafzimmer sah. Dann aber erkannte sie die schlanke Silhouette des Knaben. Er polterte in der Dunkelheit und murmelte in einer Sprache, die unter die vielen gehörte, die Frau Ziehlke nicht kannte. Dann war der schlafwandelnde Max sozusagen von selbst auf sie zugestürzt und hatte sie »Mama« genannt. Und wegen des »Wassers« . . . Sie hatten sicher Sintflut in der Schule, bei Religion oder Geographie, und nun träumt er bös und flüchtet zu ihr, der kleine Heimatlose . . . Sie schneuzte sich.
»Magdachen,« sagte sie, »führ' Max in sein Bett. Laß deine Tür offen, damit daß du ihn wecken kannst, wenn er wieder losgeht. – Es ist ein bißchen schwül heut.«
»Komm, Max«, sagte Magda und nahm den Benommenen an der Hand, »komm schön . . .« An seinem Bett angelangt, legte sie ihn hinein und strich ihm die Kissen glatt; – sehr gründlich, und unter Empfindungen, die zwar nicht unbedingt zu diesem Samariterdienst gehörten, ihm aber nichts von seiner Opferfreudigkeit nahmen. Als sie (des sehr weit geöffneten Ohrentrichters wegen) endlich zögernd Abschied nahm, war sie fürs Leben entschlossen, ihre Eroberung zu verteidigen.
Leider wurden die Alpträume Maxens bei kühlerer Witterung seltener, was jedoch nicht hinderte, daß Magda bei den leisesten Anzeichen flugs zur Stelle war. – In Frau Ziehlke jedoch nahm ein Plan, den sie schon längere Zeit bebrütet, greif- und diskutierbare Form an. Sie wußte zwar, daß an Herrn Ziehlke verglichen (wenn man ihn in Kenntnis setze) ein gegen den Strich gekämmtes Stachelschwein noch ein Schoßtier darstellen würde . . .
Immerhin verließ sich die Frau auf die Mithilfe des sprichwörtlichen »Zahns der Zeit« und dessen augenblicklich so wirksame und rücksichtslose Nagetätigkeit. Er beknabberte sie alle mit beschleunigter Gier, und zunächst war es überschüssiger Speck, der ihm zum Opfer fiel. Herrn Ziehlkes Westen wurden etwas runzlig und sein Nacken sah aus wie ein lebensmüder Kinderballon. Frau Ziehlke schmolz, und ihr Antlitz zeigte, in patriotischer Angleichung, ein Schützengrabennetz aus mannigfachen Ritzen, die der Puder mehr hob als verwischte. – In solcher Erkenntnis opferte sie auch den Puder. Seltsamerweise bekam das Durchhalten – an dem jenes hehre Beispiel in bronziertem Gips sich so tönend beteiligte – der ganzen
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