Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
es, nach einer verzweifelten Aufwärtskurve, nur das Niedersinken und das Tasten an die verschlossene Tür. Seine Augen verschleierten sich durch eine Träne.
»Max!«
Er fuhr zusammen.
»Was fehlt dir?«
»Ich weiß nicht . . . Ich habe Heimweh.«
»Heimweh!« – Ungeheuer gespannt faßte sie seinen Ärmel. »Heimweh! – Wohin denn? – Wohin?«
»Wenn ich das wüßte, wär' es ja nicht so schlimm! – Dann könnte ich ja zurück . . .«
»Was hat dich denn plötzlich so traurig gemacht?« fragte sie eifrig und faßte seine Hand.
»Dies dumme Bild vielleicht«, sagte er wegwerfend. »Das ist Westindien. – Natürlich war es nie so . . .« Er grübelte. »Aber ich weiß, wie schön es ist. Dort irgendwo muß ich zu Hause sein.«
»Gut«, sagte Magda und runzelte die Brauen. »Aber einstweilen bist du hier. Außerdem weißt du ja gar nicht, wohin du durchbrennen sollst. Möglicherweise stammst du aus Afrika oder . . . Madagaskar . . .« Dies letztere, genießerisch ausgesprochen, war ein prächtiges Wort, mit dem sich allerhand ausdrücken ließ. – »Doch das hilft dir nichts, – denn ich halte dich.«
Sie schlang den Arm um seine Hüfte. Er lächelte leer.
»Wenn ich durchbrenne, nehme ich dich mit. Du bist anders als – deine Eltern.«
»Wie meinst du das?« – Sie packte ihn fester.
Er kaute am Stengel einer Kapuzinerkresse und betrachtete grübelnd ihre schlanken Beine. – »Du bist feiner, nicht?«
Sie wippte weit mit dem Stuhl nach hinten. Er fing sie auf; ihr Gesicht war scharlachfarben. – »Wirklich?!«
»Man sieht es an deinen Beinen«, sagte er pedantisch. »Du bist eine Dame .«
In der Sachlichkeit dieser Bemerkung lag etwas Entwaffnendes, und sie erholte sich. Sie tat das um so schneller, als sie sowohl Papa als Mama im Vergleich mit ihrer eigenen Person kritisch betrachtet hatte, und die Herrschaften Ziehlke schnitten ungünstig ab, besonders wenn Magda gerade vor dem Spiegel oder im Bad Momente fünfzehnjährigen Eigenlebens durchkostete. – Sie zögerte darum jetzt nicht und küßte Max, was er schier erstaunt zur Kenntnis nahm –; er quittierte es mit zwei Grübchen in den farblosen Wangen, gleichsam nur dem Versuch eines Lächelns. – Dies verwirrte sie, und sie fuhr ihn an: »Warum sind meine Eltern nicht fein? – Du verdankst ihnen doch alles, du – schwarzer Duckmäuser.«
Er spie den Stengel in den Hof. – »Kann ich dafür?!«
»Du dummer Junge! Du wärst wohl lieber bei den Fürsorgeleuten?«
»Es wäre mir gleich, wo ich bin.« Seine Augen verengten sich; er zischte. Sie erschrak, beseligt von diesem Temperament. Aber es war grob von ihm, und sie beschloß, beleidigt zu sein. »Man kann dich wirklich manchmal nicht ernst nehmen«, sagte sie mit vorgeschobener Unterlippe und schlenderte in ihr Zimmer zurück. – Immerhin: die Bemerkung über ihre Feinheit saß , und sie nahm sie zum Anlaß, sich nach einer halben Stunde wieder zu versöhnen. Diesmal besorgte er das Küssen, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, die man fast mit Sachkenntnis verwechseln konnte; aber den südlichen Naturen, dachte Magda (während sie nach Atem rang), wird ja die Liebe schon an der Wiege gesungen . . .
So äußerte sie:
»Du hast ja recht. Papa ist ein bißchen derb, wenn er sich geschäftlich aufregt; aber Muttern – die laß mal so. – Sie haben eben beide nicht das Glück gehabt, unsere Erziehung zu genießen . . .«
In der Nacht, die gewittrig war, hatte Max einen seltsamen Traum.
Er war in einer ihm gut bekannten Gegend, die recht bunt war – woher freilich diese Buntheit kam, untersuchte er nicht. Was ihn sofort anheimelte, war der schon früher einmal (durch Zauberei Herrn Borinskys) vorhandene Balkon. – Von diesem Balkon, das wußte Max, ging diesmal ein äußerst reger Zigarrenexport aus. Eigentlich handelte sein Vater mit Edelhölzern, aber die große Ähnlichkeit von Baumstämmen mit Zigarren ließ es ja gleichgültig erscheinen, welche Branche es war – kurz, man exportierte Riesenzigarren und fuhr gut damit. Max billigte es und fand es interessant. Als Oberinspektoren bei dieser unhandlichen Tätigkeit traten zwei liebenswürdige Persönlichkeiten farbiger Rasse in Erscheinung.
Trotz ihrer verantwortlichen Stellung lümmelten sie sich in der Nähe, und als er kam, lüftete der Indianer eine türkisblaue Federnkrone mit dem Zeigefinger, und der Neger blies seinen Topfhut hoch. Beide nahmen die Pfeifen aus den Zähnen und
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