Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Familie körperlich ausgezeichnet. Zwar waren ihre Menüs noch Völlerei, gemessen an den Tafelfreuden der farblosen Masse, aber immerhin schon »Diät« im Ziehlkeschen Sinn, ohne Doktorrechnung dazu.
So breitete sich, neben der Entsagung, deren Schwestertugend, die christliche Demut, bei ihnen aus mit leiser Penetranz als neues, sehr seltenes Parfüm. Sie zermürbte die Seelen und machte sie weich, wo sie es noch nicht waren, und das traf ganz besonders auf den Hausherrn zu. Hätte ihm jetzt ein kleiner Jesusknabe mit der Hussapeitsche aus Palmfiedern gewinkt, er hätte willig den Nacken gebeugt, soweit es sein Berlinertum ihm gestattete. Dementsprechend wuchs die Energie seiner besseren Hälfte, die es sich sogar nicht nehmen ließ, als letztes pompöses Schwanzende einer namenlosen Hausfrauenschlange auf Butter anzustehen. Ebenso traf es zusammen mit der entschlossenen Jungfräulichkeit der Tochter, bei der das Weib sich sowohl streckte als rundete. – Sein Protest dauerte zwar einige Tage, doch war es leerer Lärm und verzischte als nasse Rakete. –
Max wurde adoptiert und hieß von nun ab Max Ziehlke.
Magda hatte einen Bruder und Frau Ziehlke einen Sohn.
Was Herrn Ziehlke betraf, so bedeutete Max eine fragwürdige Investierung und war geschäftlich kaum zu verantworten. Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß sein neugebackener Sohn wohl »Grütze« besaß; daß diese jedoch da, wo er sie am meisten brauchte, etwas durchsichtig und dünn aufgetragen war – nämlich wo zum Beispiel Seife in Frage kam . . .
Licht in der Finsternis
Im Jahr des Unheils 1915, im Frühling, erfuhr man, ein Torpedobootzerstörer sei zwischen Helgoland und Cuxhaven auf eine Treibmine aufgefahren. Die Hälfte der Besatzung fiel der Explosion selbst zum Opfer, die andere Hälfte wurde zum Teil noch schwimmend geborgen, und zwar durch ein zufällig vorbeikreuzendes Schulschiff.
Unter diesen in letzter Minute Geretteten befand sich auch ein gewisser Leichtmatrose namens Max Ziehlke, der, kaum ins Trockene gebracht, einer tiefen Bewußtlosigkeit verfiel. Diese vollständige Apathie und Schockwirkung war so kräftig, daß er noch im Lazarett in Berlin eine Woche nachher in tiefem Schlafe lag. Man hatte seine Eltern noch nicht verständigt, da deren Besuch zunächst völlig zwecklos schien. – Wohl aber erhielt eines Tages Fräulein Magda Ziehlke, Volontärin am städtischen Krankenhaus (nach Absolvierung eines einjährigen Kurses in Verwundetenpflege), folgenden Brief der Oberschwester:
»Geehrtes Fräulein Ziehlke!
Der mir zugewiesene Patient Leichtmatrose Max Ziehlke, Ihr Bruder, der mit Schock und Apathie unlängst eingeliefert wurde, deliriert chronisch. Der Gegenstand seiner Delirien ist unter anderem der Wunsch nach Ihrer Pflege. Ich bin geneigt, seinem Wunsch zu willfahren, da man sich günstige Rückwirkung davon auf sein Befinden verspricht. Ich ersuche Sie daher, zu kommen und in die Tätigkeit von Schwester Griseldis auf Nummer dreizehn einzutreten. Womit ich verbleibe
Ihre wohlgeneigte
Euphemia von Stöckeritz.«
Magdas Herz stand still. Sie hatte noch keine Einzelheit von Maxens Katastrophe gehört; sie wußte nur, daß er gerettet war. Sie nahm sich nicht einmal Zeit, zum Mittagessen nach Hause zu fahren, sondern stürzte in die Richtung, die der aristokratische Zeigefinger der Oberschwester wies – an das Bett von Max, in das Unglückszimmer dreizehn. – Die kleine Schwester Griseldis, die in diesem Raum neun andere Leute betreute, erklärte ihr flüsternd, man habe soeben einen neuen Anfall mit Morphium abgedrosselt, und er werde wohl kaum vor Abend erwachen. – Worauf Magda ihn kurz entschlossen in ein Einzelzimmer überführen ließ; – man werde dafür zahlen.
Sie aß ein wenig; dann prüfte sie auf eigene Faust seinen Puls und seinen
Status generalis
. Beides war nicht unbefriedigend, und ihre anfängliche Blässe verwandelte sich allmählich in die Rosenfarbe des Eifers. Sie trank Tee und stellte dabei bei sich selbst leichte Pulsbeschleunigung fest – was unfehlbar auf die Diagnose »Verliebtheit« deutete.
Es war schon dämmerig. Die dunkelgrün gedämpfte Lampe warf ihren Schein auf Maxens unschön geschorenen Kopf, auf seine schmale, edle Stirn, auf seine schwarzen Brauen, deren finstere Verschwisterung selbst der Stupor nicht löste. – Er atmete lautlos. Sie starrte ihn an und kleidete ihn in Gedanken in allerlei Kostüme; am besten erschien ihr das
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