Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Romantik, die bereits begann sich zu zersetzen; die »eiserne Regie« geworden war. Und diese ganze Puffärmel-, Sammet- und Sprechgesangpracht verstaubter Spielopern war als Ganzes, als köstlich Fremdes, als Originelles um 1890 hier gelandet, hatte hier Wurzeln geschlagen und war aufgesogen worden, weil dies liebenswerte, kindliche Volk das Märchen forderte , um nicht durch den übrigen westlichen Schundexport hoffnungslos zu verarmen . . . Und die indonesischen Fürstenhöfe adoptierten es brünstig, und dasselbe tat die Schaubühne, auch die des klugen Chinesen Ayope, und bot »Fortschrittliches« . . . So stehen diese nußbraunen Menschen da, in den Angstpanzern ihrer Kostüme, asthmatisch auf ihre Würde bedacht im heißen Lüftchen der Popularität. Daß sie in drolliger Prostitution eine längst verklungene Ausstattung mit sich herumschleppen, ist ihnen gänzlich unbewußt. Moissi, in tönendster Schwellung seines Selbst . . . Was ist seine nüstern-krause Hamletgeste gegen jenen dunklen Prinzen dort, gegen dessen starrgeknicktes Trikotbein, fingerschnalzende Verachtung? Gegen jenes Mittelding zwischen Scheffel-Trompeter und östlichem Nabob, gegen den im Falsett oder vibrierendem Baß dahinrollenden Rampentriumph des »
Wajang Malayu?
«
    Zwischen den Szenen gab es Musikpausen, und dann lauschte Herr Zinkeisen auf. Ein unbedenkliches »Orchester« spielte Schlager, die gut und gern die Geburt des Grammophons erlebt hatten. – Und dann wurde auf einmal wieder alles äußerst indisch. Zwei kleine Mädchen traten auf. Sie sangen mit hellen Diskantstimmen in grellen Quinten, die Puppen. Sie hatten große, prachtvolle Augen mit enormen Wimpern; aus Email waren diese Augen, kam es Herrn Zinkeisen vor; es waren eindeutig der Sphäre des Geschlechts gewidmete Blicke, die sie aus diesen rollenden Leuchtkugeln sprühten. Herrjeh, mußte er denken; war das toll! Sie sahen ihn direkt an; sie faßten sich an den Händen und plärrten mit Sonntagsschulstimmen, glas-schrill und begeistert, etwas ausbündig Unanständiges, Skrupelloses . . . Auf malaiisch leider; seine Grammatik versagte. Kaum acht Jahre alt waren die Dinger, und deshalb war es auch tief erheiternd, daß sie die Hüftbewegungen und Koketterien der Älteren, Reiferen, Runderen, die vor ihnen aufgetreten, so vollendet beherrschten . . . Ihre halbreifen Becken rollten, ihre silbernen Armreifen baumelten und klirrten: Zin zin . . . Zwischen den Kulissen zeigten sich winkend fette Arme und starkbemalte Gesichter, ermunternd zischend; das waren die »Misses Esah, Enam und Sadiah«. – Ein mechanisches Klavier stolperte unrein hinter dem Gesang drein. Glucksende Heiterkeit trieb durch den Raum, unter einem Aufglitzern der Steine in Parkett und Galerie. »Ejah!! – Ejah!!« riefen die jungen Kaufmannsdamen und schüttelten applaudierend die Köpfe . . .
    In diesem Moment löste der sprunghafte Südwestmonsum, der um diese geschützte, zeitlose Menscheninsel draußen geschäftig war, ein Gewitter aus.
    Zur Begleitung des mechanischen Klaviers geschahen klirrende Donnerschläge, während derer die vorsintflutlichen Kohlenfäden der Rampenbirnen leicht zuckten. – Das war man gewohnt; ebenso, daß gleich darauf das ganze Theater im Meeresgrund versank. Unaufhörliches, sausendes, ins Maßlose schwellendes Zischen geschah und wuchs in ein gleichmäßiges Gedröhn hinein. Das Kreischen der gepuderten Kinder wurde kleiner und piepsiger. Und das Schwatzen der rauchenden, plaudernden, kauenden Menge sank unter einen Schleier.
    Nun bemerkte Herr Zinkeisen, daß der junge Engländer, der vorhin seinen Tisch auf der Estrade im Adelphi melancholisch-unwirsch verlassen hatte, in einer der nächsten Bankreihen hinter seiner Loge saß. Vorsichtig spähend (um kein Aufsehen zu erregen) stellte er fest, daß der Major Prendergast sinnlos betrunken war. Da man zum größten Teil unter höflichen Eingeborenen war, schien niemand davon Notiz zu nehmen. Und doch war es unangenehm, störend im höchsten Grade für Herrn Zinkeisens Stimmung. Während er sich wieder umdrehte, fuhr er fort, sich mit dem Bild, das er eben wahrnehmen mußte, grollend zu beschäftigen.
    Mr. Prendergast war nämlich (in zwei Abständen; – doch dies mußte der Natur der Sache nach wohl immer wiederholt werden) auf seinem Sitz nach vorn gefallen; hatte, sein rührend eckiges Kinn gelockert, Sorgenfalten auf der schmalen Stirn, den Körper einfach gleiten lassen. Wie ein Rohr im Winde

Weitere Kostenlose Bücher