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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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schwankte er, wie eine Sache aus Gelee. Es fehlte ihm nicht an hilfreichen Zugriffen. Das Peinliche daran war nur, daß dieser nicht von einem Kameraden, sondern von zwei Söhnen des Reiches der Mitte besorgt wurde; das halb Tröstliche, daß es sehr sauber gekleidete Herren waren. Der eine nahm dem Major, wenn dessen Kopf nach vorn sackte, jedesmal behutsam die Zigarette aus dem Mund und steckte sie ihm geschickt wieder zwischen die Zähne. Der andere regulierte nach Bedarf das Gleichgewicht. Alles in allem war die Tatsache nicht abzuleugnen, daß der Engländer eine äußerst undankbare und unkleidsame Rolle spielte.
    Der Anblick paßte in Herrn Zinkeisens Weltbild nicht hinein. Das war auch der Grund, warum er sich so ärgerte, trotzdem es ihn gar nichts anging. Hier saß ein Herrenmensch im Smoking und machte sich gemein mit betulichen Chinesen, die vielleicht nicht einmal eine Photographie ihrer eigenen Väter besaßen, geschweige denn Ahnentafeln; die vielleicht Läden im Brückenviertel unterhielten, bestenfalls Kommissionäre waren für den Verschleiß amerikanischer Automobile, oder Gummischmuggler . . . Aber es wäre noch nicht einmal nötig gewesen, daß der Major sich vor den nervösen Blicken eines farbigen Publikums mit ihnen anbiederte. Was Herrn Zinkeisen in die Seele hinein beunruhigte, war sein Zustand. Liebesgram hin und her . . . So betrank man sich einfach nicht.
    Der Betrachter sandte einen traurig strengen Blick nach der unverantwortlichen Gruppe. Er war nicht der einzige aus der Europäerschicht, dem sie auffiel. Die beiden hilfreichen Gelben spürten das. Offenbar empfanden sie, daß man dem Major eine Gefälligkeit erweise, wenn man ihn fortschaffe. So verließ dieser denn in enger Fühlung mit ihnen, und leidlich beherrscht (wie Zinkeisen mit Erleichterung wahrnahm) annähernd in gerader Linie den Schauplatz. Das kleine Intermezzo wurde dann auch von dem Interesse verschlungen, das neu für die Vorgänge auf der Bühne erwachte. Der Regen dröhnte unablässig weiter. Es war nicht sicher, ob Herr Zinkeisen sofort ein Gefährt finden werde, das ihn trocken heimbringe; so blieb er mit halbem Genuß sitzen und genoß etwas schief geneigten Kopfes wiederum das Getue der kleinen braunen Stars.
    Diese wurden jetzt von verwegenen Männern beschlichen . . . In einem Spalt des von Madras-Künstlern mit herrlichen Feenlandschaften (Odalisken, Schwänen und Minaretten) geschmückten Vorhangs wackelte langsam eine Kulisse herab. Sie war –
by Jove
– amerikanisch! Die scheußliche Nüchternheit einer Straße mit Drogerien, »Sodaquellen« und roten Backsteinkirchen senkte sich erbarmungslos in die Phantasiewelt hinein. Na, das begriff man doch wenigstens, wenn es auch nicht schön war, dachte Herr Zinkeisen. Bis jetzt war es eigentlich ein bißchen zu anspruchsvoll! Die ganze Zeit Märchen: das kriegt man satt. Worauf er sich befriedigt zurechtsetzte und auf einen »anheimelnden« Eindruck wartete.
    Trotz der flott synkopierten Musik geriet sein Verständnis auch jetzt auf eine Untiefe. Er steckte sich eine Zigarette an und dröselte ein wenig. Wenn dieser Regen aufhört, dachte er, mache ich Schluß mit heute abend. Mehr wird wohl nicht in Singapore zu erleben sein. Schade. Möglich, daß es verruchte Sachen gibt; die sind aber auch wieder zu riskant . . . Am besten, man läßt das Laster auf sich beruhen.
    Er dachte noch ein wenig an sein Schiff morgen, das er um zehn Uhr zu besteigen hatte; die Hotelrechnung, das Wechselgeld, drei, vier Telegramme, an Bolshagen & Co. (Porzellan und Emailwaren en gros, Export und Import), seinen Musterkoffer und sein schön geregeltes Dasein . . . Dann ging sein Dröseln in eine Art Schlaf über, aus dem er mit einem Ruck emporfuhr. Plötzlich anschwellendes Stimmengesumm deutete den allgemeinen Aufbruch an.
    Seine Hand fuhr nach der Innentasche; Gott sei Dank! alles war da. Seine Uhr zeigte auf zwölf. Mit einem Bedürfnis nach frischer Luft und leicht verwirrt erhob er sich. Der Regen hatte aufgehört; es würde ihm gut tun, den Kilometer bis zum Hotel zu Fuß zurückzulegen.

Zinkeisen hat einen Energieanfall
    Als er aus dem Eingang trat, hatte sich die Zuschauermenge bereits in Droschken oder Rikschas verflüchtigt; aus den Seitenstraßen hörte man noch leises Bimmeln der sich entfernenden Gefährte. Eine Stunde lang hatte der Regen herabgepladdert. Unter Windschnaubern und Schluchzern hatte die Tropenschwermut sich erneut; nun war sie

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