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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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öffnete. Die »Logen« füllten sich mit Europäern verschiedenster Sorte, Matrosen, Artilleriesoldaten auf Urlaub vom Fort Canning, ehrenwerten Kaufleuten oder unrasierten Opportunisten. Hinter dieser weißen Schicht kamen die chinesischen Familien; sie beherrschten das Bild; auch auf den erhöhten Seitengalerien erblickte man, wie auf Schnüren aufgereiht, ihre meerschaumhellen, glatten Gesichter. Damen waren in jedem Alter da. Die pechschwarzen Haare, von schöngewölbten Stirnen zurückgekämmt, waren von Diamanten besprengt. Feiste Matronen in spitzenbesetzten Jacken ließen bei Kopfdrehungen auf faltigen Hälsen an herabgezerrten, mächtigen Ohrlappen die silbernen, tellergroßen Pflöcke pendeln, von deren Knöpfen mächtige Brillanten in Rosenschliff blaue Blitze schossen. Dabei waren sie noch inkrustiert an Fingern und Pantoffeln. Gelb und verdrossen, mit geschwollenen Lidern, zerkauten sie Süßigkeiten aus Lackschachteln und keiften leise untereinander. Die Jungfrauen, wie ein tuschelndes, weißes Tulpenbeet im Morgentau, saßen mit ihren steilen kleinen Brüsten und ihren erstaunten, pinselfeinen Brauen leblos wie Bilder. Jünglinge lachten gurrend, Capstan-Zigaretten rauchend, und ihre beerenschwarzen Augen folgten kindlich vergnügt dem Vorgang auf der Bühne.
    Hinter dieser reichen Schicht des Reiches der Mitte begann dasjenige Publikum, das dem Theater den Namen gab: das Malaienvolk . . . Und ganz im schwarzen Hintergrund, nicht einmal mehr einer Bank teilhaftig, standen oder hockten die Ärmsten der Armen: die Kulis.
    Das Stück lief schon geraume Zeit. Doch es ist das Wesen solcher Dramen, daß sie, wie das Leben selbst, an jeder beliebigen Phase neu beginnen . . . Eine äußerst dünne, waghalsig unwahrscheinliche Handlung rinnt unter den Szenen. Herr Zinkeisen hatte sich etwas ganz Phantastisches erträumt und war darauf erpicht, auf seine Kosten zu kommen. »Wo ist der Osten?« dachte er bei sich und blickte streng und mißbilligend nach der Bühne. In Gedanken pochte er dabei auf seinen Singapore-Dollar . . .
    Aber er sollte dauernd enttäuscht bleiben. Was er mit seinen blauen, ehrlichen Hamburger Augen wahrnahm, war letzte europäische Schmiere. Man enthielt ihm ein großes Erlebnis vor; das war sicher. Dumpf schwebte ihm der Komplex etwa eines schwierig zu frequentierenden, sehr ungewöhnlichen Freudenhauses vor . . . Irgendwo in seiner Seele hatte ein Sechzehnjähriger schneidig-bang ein Abenteuer gesucht und wurde nun mit Zungenschnalzen abgespeist, statt mit schwülen Erfüllungen . . .
    Er sah, was er in einem Varieté dritten Ranges seiner Vaterstadt auch gesehen hätte, oder im Zelt einer bankerotten, wandernden Theatertruppe, die um die Gunst der tiefsten Provinz buhlt. Sonst nichts . . . denn von Hergang und Dialogen verstand er nichts, trotz des in schlechtem Englisch abgefaßten Programmzettels, der den Vorgang schwungvoll beschrieb.
    Es war das Motiv einer Opera Buffa; das Schicksal zweier Clowns. Baktom und Baktim, die durch ein Dschungel von Mißverständnissen stolperten, und ein Publikum von Würdenträgern, Sultanen, Damen, Räubern und Soldaten in das heikelste Durcheinander stürzten. Sie gaben diesen Herrschaften mächtig zu tun durch ihre Proteusnaturen; ja selbst ein pompöser Richter streckte vor ihnen die Waffen. Atemraubend jonglierten sie mit Tugend und Laster, so daß man am Schluß nicht mehr wußte, wer von beiden, Baktom oder Baktim, das eigentliche Karnickel sei. Bis zuletzt (doch dies erlebte Herr Zinkeisen nicht mehr bei vollem Bewußtsein; er nahm es nur mit Hilfe der letzten Bemerkung des Zettels wenig erschüttert zu Kenntnis) – ein Zauberer durch erstaunlichste Hellseherei die Verwirrung all der Märchengrößen spielend löste.
    Wie man sieht: eine kindliche Angelegenheit. – Und Herr Zinkeisen war deshalb gelangweilt, weil er das zeitlose Empfinden nicht kannte, dem man hier frönte. Auch fehlte seiner gewiß tüchtigen Halbbildung der Blick für das Absonderliche, das Bedeutsame.

Jemand »fällt aus dem Rahmen«
    Dieses Europa, das man hier erlebte, war zu den Malaien gedrungen auf dem Weg über Stambul, vermittelt durch den völkerverknüpfenden Islam . . . Es war ein von den Türken neu verdautes und ihrer Auffassung anbequemtes Plüsch- und Stuck-Europa trübster Observanz. Diese Kostüme waren rührend getreue Kopien von muffigen, aussortierten Mimengarderoben; dies Milieu stank nach Schminke und dem ranzigen Öl einer

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