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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Zinkeisen. »Macht, daß ihr fortkommt.«
    »
He! You!
« ließ sich hier der Major vernehmen und starrte mit grellen Augen zu ihm herab. »Was, im Namen aller hergelaufenen Hausierer, geht das Sie an?« – Herr Zinkeisen überhörte das; überhörte es sachlich; er sah, daß er einen unzurechnungsfähigen Kompagnieführer vor sich hatte und zog bieder die Konsequenzen daraus. Er ging zu den Pferden und packte die Kandaren. Steil ging Prendergast in die Höhe und gab dem Kutscher einen Stoß in den Rücken.
    »
Drive on!!
« brüllte er.
    Doch es half nichts, daß der Kutscher, in den Wirbel zweier verschiedener Herrenlaunen geraten, die Peitsche zögernd hob; der kleine Deutsche stand wie aus Granit. Nach etwa zwanzig Meter würde das Gefährt um die Ecke geraten sein, in die Lichtflut des Adelphi-Hotels; und damit läge die furchtbare Blamage des Majors auf offenem Präsentierbrett vor aller Augen da. Dann war seine Karriere zerstört, dann war er in jeder Beziehung geliefert; dann würde für ihn nichts übrigbleiben als eine Kugel. – Und ehe der Kutscher, der noch wie gelähmt saß, Bescheid wußte, war er schon wieder am Verschlag. Der halbnackte Junge war hinweggehuscht; ebenso verschwunden war die Priesterin mit den beiden Nestvögelchen. Sie standen mittlerweile irgendwo im Schatten und warteten, starr vor Neugier, die Entwicklung der Dinge ab. So hatte Herr Zinkeisen den Sitz frei und schwang sich ins Gefährt.
    »Sie müssen einsehen,« sagte er korrekt zu den beiden Chinesen, »daß Ihre freundliche Hilfe sich von jetzt ab erübrigt . . .« Das sagte er nicht zusammenhängend, sondern in den Pausen, die ihm der Kampf mit dem sinnlos Betrunkenen und unablässig Fluchenden gestattete. Als er während des Ringens einen Augenblick den Arm frei bekam, zerrte er Wechselgeld aus der Tasche und stopfte es in die weichen geöffneten Hände. »Gehen Sie, meine Herren; ich bringe den Major ins Bett . . .« Und wie bemalte Ostereier lächelnd, traten die Gelben den Rückzug an.
    Plötzlich erlahmte der Engländer.
    Zinkeisen atmete auf. »Fahre vors Hotel«, wies er den Kutscher an. Und langsam bog die Droschke um die Ecke.
    Die Halle war noch vollbesetzt; einige Gäste standen plaudernd im Vestibül und blickten auf die Straße. Herr Zinkeisen stieg aus und durchquerte langsam und ohne auffällige Hast die Halle. »Maloney,« sagte er zu dem Buchhalter, »draußen in der Droschke liegt einer, der sich heute abend ein bißchen übernommen hat. Er hat einen Hitzschlag; auf alle Fälle muß es ein Hitzschlag sein . . . Verstehen Sie, Maloney?«
    Der Ire verstand.
     
    Als der Major am nächsten Abend imstande war, seine Gedanken zu sammeln, erfuhr er den diskreten Vorgang seiner Ankunft im Hotel, und daß Herr Zinkeisen als
Deus ex machina
seine Hand im Spiel gehabt.
    Er bemühte sich eifrigst, »Eddy« zu finden, um ihm seinen Dank abzustatten. Doch er mußte erfahren, daß dieser bereits abgefahren war. So blieb ihm nichts übrig, als sich eine Notiz zu machen, und den Dank auf seine eigne Rückkunft nach Europa zu verschieben.
    – – – Dies alles ereignete sich zu Singapore, im Laufe des Mais 1914. –

Intermezzo
    Wir verlieren Herrn Zinkeisen nach dieser Phase seines Daseins aus den Augen. Wir haben erfahren, daß er nach Bangkok fuhr und von da aus in die Heimat. Dann kamen acht Jahre, während deren ein Scherbenberg aufgehäuft wurde aus blechernen Schlagwörtern, vernichteten Werten und zertretenen Existenzen; ein Scherbenberg, der die Aussicht verrammelte und das Gedächtnis schwächte; ein Scherbenberg, über den Herr Zinkeisen mit zäher Geduld hinüberkletterte. Bei dieser zunächst zielbewußten und dann äußerst verdrossen geleisteten Betätigung verlor er seinen Glanz, Stück nach Stück, und landete ziemlich ramponiert auf der anderen Seite.
     
    Zunächst erlangte er, schlecht und recht, einen Kellnerposten in einem maßgebenden Hotel einer deutschen Großstadt. Daraufhin ehelichte er ein ziemlich farbloses Mädchen aus kleinbürgerlichen Kreisen.
    Im Jahre 1922 war er zum Aufseher avanciert. Waren auch alle anderen Embleme der Macht gefallen, so gefiel er sich jetzt, gleichsam zur Opposition, als Besitzer eines steilen Habybärtchens und bürstenartig geschorenen Haupthaars. Sein Frack saß gut; er bewegte sich mit den früheren exakten Schritten und vergab sich allmählich immer weniger durch Hast oder allzu beflissenen Zusprung. Abends forderte er die Bilanz ein und behob auch sein

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