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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ganze Lebenstrieb der Großstadt an dieser Stelle eingenistet. Im übrigen lagen die Straßenschluchten kellerhaft spärlich beleuchtet. Die Stadt gemahnte an den eingegrabenen Leib eines Fakirs, auf dessen Scheitel an einer winzigen Stelle die Vitalität als matter Puls fortbesteht. In würdige alte Fassaden hatte sich die Krankheit der Zeit eingefressen als billig blaßblauer und rosa Stuckbewurf, schon im Entstehen schimmelnd, über gestrigen Kinos und Tanzdielen. Aus muffigen Lokalen drang noch der zirpende Geigenlaut träger Genußsucht.
    Der Regen störte Herrn Zinkeisen heute nicht, ebensowenig die Entfernung, die er zu Fuß zurückzulegen gedachte. Ihm war, als werde er mächtiger an einen Entschluß hingedrängt . . . Dieser Entschluß, fast geburtsfertig ausgetragen, regte sich bereits im gewölbten Bauch der Flasche, die er im Mantel trug. Der ganze Rest seines Temperamentes, über das er noch verfügte. würde gleichzeitig herausgelockt werden und vielmehr noch unendlich viel mehr . . . Der Zaubertrank wird heute nacht halberloschene und niedergepflügte Jahre wieder lebendig machen; keimhaft regt sich darin schon das Kaleidoskop von früher, so wie man chinesische Blnmenschnittchen ins Wasser wirft, die sich unerwartet bunt entfalten.
    Sein Leben war ja so kahl wie dieser Asphalt, den das kalkweiße Licht ärmlicher Bogenflammen bestreute, in so weiten Abständen, daß dazwischen immer wieder ein Tasten durch beklemmendes Dunkel daraus wurde. – Wie lange er so ging, wußte er nicht. Er schritt in einer schwebenden Sicherheit dahin, sich aus dem Gefängnis loslösen zu können, nach Bedarf, nach Laune, vielleicht mit einem brutalen Ruck . . . War dies nicht alles Gefängnis und Kerkerzelle? Das Hotel nicht nur, sondern auch diese Häuserzeilen? Diese kahle und schmutzige Pracht, der das Blut entzogen war?
    Schlecht gekleidete Kokotten streiften ihn und blickten ihm mit ihren Gesichtern wie mit verwischten Flecken nach. Kokainheisere Stimmen lockten ihn an jeder Straßenecke. Auch junge Burschen boten sich ihm an. Er bemerkte sie erst, als aufglimmende Zigaretten an einer grauen Hauswand ihre jungen zerfallenen Züge glühwurmhaft beleuchteten; – gleich waren sie wieder mit dem Elend verschmolzen und mit dem Rieselregen der Mitternacht . . . Dies war nun Deutschland.

Der Horizont im Weizengeist
    Nach einer Stunde erreichte er das Haus, in dessen viertem Stock er zwei Zimmer bewohnte. Er fand sich plötzlich vor der Tür, ohne genau zu wissen, wie er hinaufgelangt war, und dann in der Wohnstube, deren Tür nach dem Schlafzimmer offenstand. Er knipste die grüne Tischlampe an und enthüllte damit ein Milieu, das sich in dieser Gegend tausendfach wiederholte. Ärmlich war es nicht, beileibe nein, denn Herr Zinkeisen war nicht umsonst ein leidlich gut bezahlter Herr. Er hatte es mit dem ehrlichen Willen gekauft, ein Heim zu schaffen . . .
    Er setzte sich noch nicht an den Tisch, sondern grub erst alles aus seinem Mantel hervor, Geld, Heft und Flasche. Darauf zog er seinen tadellos geschnittenen Frack, seine Hosen und alle Hotelwürde aus; hängte sie mechanisch sorgsam im Wandschrank über die Kleiderhaken und bekleidete sich mit seinen verwaschenen Pyjamas. Die Lackschuhe stellte er parallel an das gewohnte Plätzchen und tat dafür ein Paar alte Filzpantoffeln an. Hierauf schnaufte er ganz gewaltig auf, ohne sich viel Mühe zu geben, das Geräusch seiner Erleichterung zu dämpfen . . .
    Er wußte genau, daß diese Vorbereitungen von seiner Frau so völlig überhört wurden wie Fliegensummen. Es war die Routine von Jahren. Neu war heute einzig eine Expedition in die Küche, wo er sich Selterswasser und Glas holte. Er trank sonst nie vor dem Schlafengehen. Heute aber tat er's, und verwunderte sich nicht einmal.
    Er schlug das Heft auf und malte mit verbissener Gründlichkeit wie immer seine sechs bis neun Nullen. Auf einmal jedoch war es, als werde sein Kopf in eine andere Richtung gelenkt. Die schreibende Hand erlahmte, und sein Blick bohrte sich in das schwarze Rechteck der Schlafzimmertür. Der Bleistift entfiel den Fingern, und eine Weile saß er wie aus Holz geschnitzt.
    Die beklommene Brust drängte sich schweratmend an die Tischkante. Als falle es ihm erst jetzt ein, kehrte sein Blick zur Flasche zurück und zu der Aufschrift der Etikette: »
Purveyors to His Majesty.
« –
    Die Worte entlockten ihm ein irres Lächeln.
    Es wird da ein Trank gebraut, irgendwo auf der Welt, den

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