Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
sich ein König, oho, ein veritabler König für seine Tafel bestellt! Sie gestatten, Sire, daß ich mir das für Ihren Privatgebrauch vorgesehene Getränk selber gönne, sozusagen hinter Ihrem Rücken!
Er gluckste vor sich hin und strich sich mit der Hand übers Knie. Dann füllte er das Glas zu einem Drittel mit dem bernsteinfarbenen Weizengeist und tat den Sprudel hinzu. Es moussierte wie Champagner. – »Etwas habe ich noch vergessen,« formten seine Lippen lautlos, »wesentlich, sehr wesentlich; es muß doch alles harmonieren; wir machen jetzt eine kleine Totenfeier für ein begrabenes Dezennium, das einmal zu leben sich verlohnte!« – Damit holte er sich aus den Tiefen des Kleiderschrankes eine runde Blechbüchse mit handlichem Deckelöffner, schnitt sie auf und sog den Duft der Capstan-Zigaretten ein. Es roch wie Sand und Honig.
Süßer Qualm steigt auf . . . Und nun sind die Straßenzüge da, von grellstem Leben überbrandet; gezackte Pisangblätter . . . Rollen von Rikschas . . . lehmgrüne Kanäle . . . ziegelrote Erde . . . Weißgekleidete Menschheit bewegt sich durch Schattenbänder, und über seinem Scheitel hängt eine senkrechte, eine ganz andere Sonne. Oh, dieser Geruch, der hinter Suez beginnt und in Australien endet!
Er trank das Glas mit vier Zügen leer und setzte es dann energisch auf den Tisch zurück. Dieser Knall hörte sich an, wie eine Herausforderung an alles, was ihn umgab; in dem Blick, den er den Möbeln schenkte, lag etwas kritisch und boshaft Abschätzendes. Genau konnte er sich's nicht klarmachen, was ihn an dem gehäkelten Überzug des Sofas dort und an jenen Öldrucken eigentlich störte. War es der gänzliche Mangel an Handwerkertum, was ihn erboste? Die Dutzendware, ausgespien von dieser seelenlosen Zeit, hatte sie ihm nicht selbst den Stempel aufgedrückt? Es gab einmal ein Individuum, gab freies Menschentum . . . Wie lange ist es her? Das lag vor dem Scherbenberg.
Sein Gesicht bekam etwas Verfallenes, seine Augen suchten und suchten. Nichts war da, gar nichts; und es grauste Herrn Zinkeisen auf einmal ganz bedenklich. Gegen dies plötzliche Unvermögen, Behaglichkeit zu empfinden, half nur ein zweites und ein drittes Glas. Seine Augen tränten, sein Puls klopfte beschleunigt. Da war sie wieder, die Engländerin: nackte Schultern und Arme, schlanke Schenkel, hoffärtige Brüste und herrisch geschürzte Lippen . . . Das ist nun der Feind, dachte er stier. Doch warum ist es eigentlich der Feind? Es ist das einzig Denkbare. Es ist Herrentum; und wenn man es selbst nicht leben kann, so will man es wenigstens anerkennen dürfen. Wenn man aber selbst dies nicht darf?
Ich verstehe euch ja so gut! Ich verstehe euch ja aus eurem eigenen Leben heraus! Ich müßte einer der Euren sein, wenn auch nicht auf gleichem Niveau, so doch irgendwie bescheiden beglaubigt! Denn das, was man jetzt hier treibt und tut, hat nichts mehr mit Menschentum zu tun! – Mit einem kaum unterdrückten ächzenden Aufschrei fegte er das Heft zu Boden und die Geldscheine hinterdrein, so daß sie das Zimmer wie Schneegestöber füllten. Dann schloß er beide Fäuste und brütete weiter.
– – – Nach fünf Minuten tödlicher Stille hörte er, wie sich ein Körper im Nebenzimmer im Bett herumwarf. Dies weckte ihn aus der Apathie. Mit lahmen Schritten ging er auf das schwarze Rechteck der Tür zu. Ein leises Gähnen war hörbar, gänzlich verschlafen, das sogleich wieder zu tiefem fauchendem Atem wurde. Er setzte sich im Dunkeln auf den Rand des eigenen Bettes, dem ihren gegenüber. Die schwache Beleuchtung aus dem Wohnzimmer ermöglichte es ihm, Umrisse zu sehen. Er erkannte ihren Kopf und den einen Arm, der halb aus dem Bett heraushing. In der Stube herrschte ein Geruch nach Leinöl und stagnierendem Küchendunst. Auf der schwarzen Fläche der Finsternis entstand wieder das Bild der strahlenden Schultern. Doch diesmal erweiterte es sich und wurde zum Leib, dessen herrischer Umriß sich in sein Hirn einätzte. Es war nicht eigentlich dieser schlanke Leib selbst, der ihn beunruhigte, sondern die Geste , mit der das Bild sich auftat: die Unnahbarkeit. Lichtjahre entfernt kreiste es, unbekümmert um sein winziges und fragwürdiges Dasein.
Doch lag eine seltsame Wollust in der Vorstellung solcher Unerlangbarkeit. Er wußte, dies Gefühl würde ihn mit der Zeit auffressen. Neid war das auf eine ganze Rasse von Menschen, deren Eitelkeitsbarriere es ihm selbst noch verwehren wollte, ihnen zu
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