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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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überblickbar, jedoch unschwer einzufügen in das, was ihm wie lähmend süßer Gesamteindruck übrigblieb. Er überhörte beinahe, daß die Dame nunmehr ihre Wahl getroffen; übersah fast, daß der Finger mit dem Saphir bereits herrisch auf eine Marke tippte. Unmerklich fuhr er zusammen und sagte: »
Yes, Madame, No. 73
«, wobei er sich umwandte und wieder mit Adlerblicken nach dem kieferschlaffen Menschen Namens Drechsler spähte, der aus der Entfernung die Gruppe dumm beglotzte. Die Kreatur eilte herbei und nahm die Bestellung entgegen.
    Aber der lange Engländer hatte währenddessen nicht geschlafen. Herr Zinkeisen fühlte einen offenen und unverbindlichen Blick auf sich geheftet. Er verbeugte sich und trat zurück. Er blickte in den Saal. Die ganze Aussicht wurde zum Karussell, worin sich schreiende Farben wie flutende Bänder verschwisterten und nach dem Takt der entfesselten Zigeunermusik rhythmische Wellen schlugen. Dies war ein kleiner Schwindelanfall. Vielleicht kam es von der Schlaflosigkeit der letzten Nächte. Er mußte dieser Anwandlungen Herr werden; mit dem scheuen Pirschgang seiner Blicke sollte es, durfte es ja nichts zu tun haben.
    Der Abend rauschte weiter. Immer gelöster klang das Brausen der Völkerscharen aus den Pufferstaaten und aus Neutralien. Einige Paare hatten auf dem freien Raum vor dem Orchester, aneinandergeklebt, bereits zu tanzen begonnen. Doch über all der kreischenden Lustbarkeit und diesem haltlosen Wälzen in Devisen und teurem Alkohol schwebte wie eine wütende Donnerwolke eine schwüle Faust. Herr Zinkeisen hätte sich keinen Moment gewundert, wenn die ganze Lüsterpracht der Decke langsam herabgesackt, wenn alle Spiegel plötzlich erblindet wären. So stark empfand er das kranke Europa. – Über den beiden, die hinter seinem Rücken gemessen plaudernd tafelten, hätte das Verhängnis Halt gemacht. Auch hätte er sie mit eigenem Leibe geschützt, fühlte er doch, daß das Einzige, woran man sich noch klammern konnte, mit diesem Paar zusammenhing. Mit dem schmalen eckigen Kinn des Mannes. Mit den nackten Schultern der Frau. Es war Haltung , es war etwas von jeher dumpf Bewundertes; und die leuchtenden Schultern, straff emporgezogen, mußten gleich den ehernen jenes mythischen Riesen den Niederbruch des Bestehenden spielerisch stützen können.
    Gott weiß, was für Gedanken ihm sonst noch kamen. Es gab keine sichtbare Brücke von ihm zu jenen; aber das Gefühl der Kameradschaft auf irgendeiner Ebene war so groß, daß er es kaum über sich gewann, seine sonstigen Pflichten auszuüben. Den eigenen Untergebenen beneidete er jetzt darum, daß dieser die Herrschaften unablässig bedienen durfte. Er ärgerte sich in die Seele des Engländers hinein, wenn der schwarze pockennarbige Mensch an aufdringlicher Servilität des Guten zuviel tat. Wenn dessen Englisch versagte, ergriff er hastig die Gelegenheit, einzuspringen. Dies verschaffte ihm wieder einen Hauch des Parfüms, einen Blick, einen Laut der leicht geschürzten Lippen. So vertrat er den anderen, so oft es sich ohne Auffälligkeit machen ließ, und als die zwei sich erhoben, ging er ihnen voran und schuf ihnen eine Gasse. Gemessen verbeugte er sich an der Treppe. Dann, als er sie im Lift wußte, spürte er eine seltsame Schwäche in den Knien. Mit sinnlos emporgedrehten Augen starrte er noch eine Weile in den Schacht hinauf, wo die kostbare Fracht in die Höhe entschwand . . . Zum erstenmal erfaßte ihn ein unbezwingbarer Ekel und eine derbe Unlust darüber, zurückkehren zu müssen.

Gesicht der Zeit
    Bevor er sich an diesem Abend auf den Heimweg machte, tat er etwas, was ganz gegen seine Gewohnheit war. Er ging in die Bar des Hotels und erstand sich von dem erstaunten Barkeep, der gerade seine Schränkchen schloß und seine Mixbecher ausschwenkte, eine Flasche vollwertigen schottischen Whiskys, für den er ohne Wimpernzucken nach oberflächlichster Zählung, einen Packen Papiergeld auf die Kredenz warf. Er versenkte die Flasche in seinem Ulster und machte dem Büro noch den gewohnten Besuch. Mechanisch nahm er Tagesgehalt und Bilanzheft in Empfang und ging dann zu Fuß hinaus.
    Eine lange Kette staute sich auf dem regenbenetzten Asphalt, der die letzte abgedämpfte Helle des Hotels verschwommen zurückwarf. Ein feiner Rieselregen hing seine Perlenschnüre vor die Bogenlampen. Der Platz, umsäumt von Spekulationsbauten, die wie Pilze aus dem Boden geschossen schienen, schimmerte noch in dumpfem Licht, als habe sich der

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