Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Gehalt in ständig schwellenden Paketen nagelneuen Papiergeldes. Doch war es ihm schon fast gleichgültig, ob die Anzahl dieser Millionen stimmte.
Dies war nichts das einzige, was ihm gleichgültig wurde. Eins sah er deutlich genug; einen phantastischen Ruin aller Verhältnisse und menschlichen Beziehungen. Wie einer, der vor einem Aquarium steht, vor dem Flossenspiel seltsamer Fische, starrte er in den Strom landfremder Menschen. Wiewohl er sich klar war, daß all diese drittklassigen In- und Ausländer ja nur ihre primitiven Wunschträume erfüllten und dank der Valuta ins Absurde trieben, schlug seine verscheuchte Seele keine Brücke zu ihnen. –
Er litt schweigend. Doch seine Seele suchte.
Suchte nach Menschen. denen er gern diente . . .
Die Zeiten entarteten immer mehr. – Seine Brieftasche, bis zum Platzen beansprucht, genügte nicht mehr für sein allabendlich im Büro erhobenes Gehalt. In der Tat: Der Schneider seines Fracks hatte nicht damit gerechnet, daß Reichtum die Taschen sprengen könne, sonst hätte er sie beutelförmig, als Säcke, entworfen. Herr Zinkeisen benötigte zwar noch kein Handköfferchen, aber immerhin schon eine Zigarrenschachtel, um seinen Gewinnst nach Hause zu tragen; und seine Gattin mußte um sechs Uhr aus den Federn gejagt werden, um die Kaufkraft der letzten zwölf Stunden noch auszunutzen.
Manch ein Charakter wäre durch solches Geschehnis erschüttert worden. Aber so, wie man sich im Halbschlaf einem skurrilen Traum mit gelähmter Kritik überläßt, so packte Herr Zinkeisen auch noch diese Narrheit in sein Lebensbild hinein und versuchte das brüchige Gummiband der Erfahrung darum zu schlingen. Einmal, so ahnte er, würde es mit scharfem Knall reißen, und dann würde alles herauspoltern . . .
Es bestand in einigen Köpfen zwar längst die vage Erwartung, daß, wenn nicht ein Wunder geschehe, dem ganzen Papierfasching, dem clownhaft hüpfenden Zahlenzauber, ein wüster Aschermittwoch drohe, der zugleich die Zwangsgesundung bedeute. Es war Herrn Zinkeisen nicht gegeben, mit Tatsachen zu rechnen, die sich aller geschichtlichen Präzedenz höhnisch entzogen. Er malte seine sechs bis neun Nullen mit sklavischer Geduld in die Bilanz und schon die Tätigkeit dieses Nullenschreibens hielt seinen wohlverdienten Schlaf bis in die Morgenstunden hintan, so daß seine flaumigen Backen etwas schrumpften und sein stählerner Blick sich verschleierte. Daß er's aushielt, war das Erbe des hanseatischen Stämmlings und eine gute Portion von Hilflosigkeit und mangelnder Phantasie. Gratulieren wir ihm dazu! Andernfalls wäre er ja auch nur ein kleiner Opportunist ohne Würze; einer von jenen Tausenden, die sich auf der »Achterbahn« der Entwertung besinnungslos hochtragen ließen, um dann plötzlich kopfüber vom Labilen höchst schmerzhaft aufs Stabile zu geraten und dauernd seekrank davon zu werden . . .
– – – Dies war sein Tageslauf: – kurz vor Mittag stand er auf und um zwei Uhr war er im Hotel zur Stelle. Dann lagen elf Stunden vor ihm, während derer er mit verbissener Verantwortung das Verantwortungslose auf sein Flußbett beschränkte, so daß sich selbst das Chaos noch nach Regeln drehte . . .
Kostbare Gäste
Eines Tages im November 23 sah er, daß ein reservierter Tisch in der Ecke der Halle lange über die bestellte Zeit hinaus leer blieb. Er rief Anton, den drallen Liftpagen, der sich gerade rosig und frech als
Postillon d'amour
Zettelchen schmuggelnd zwischen den nächsten Tischen betätigte, und jagte ihn zu dem fraglichen Zimmer hinauf. Doch da kamen die Erwarteten, ohne den Lift zu benutzen, bereits die von vergoldeter Balustrade gesäumte Haupttreppe herabgeschritten. Der Eindruck dieser Leute auf Herrn Zinkeisen war ein derart ungewohnter, daß er sich in der Folge, zart bemerkt, mindestens seltsam benahm. Er bestand nämlich zum größten Erstaunen des dienstbaren Geistes, dem das Rayon des leeren Tischchens zugeteilt war, auf einer für einen Aufseher völlig ungewohnten persönlichen Bedienung. Nicht bloß, daß er das Tischchen umkreiste und die darauf befindlichen Chrysanthemen zupfend ordnete, nein, er gefiel sich sogar darin, an den Stühlen zu rücken, um den Herrschaften Schutz gegen den grelläugigen Saal zu verschaffen. Er stellte einen unsichtbaren Paravent auf und erklärte damit sein tieferes Interesse. Der Ober, ein Mensch Namens Drechsler, zog sich mit kieferschlaffem Erstaunen zurück und überließ Herrn Zinkeisen das
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