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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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forscher wie falscher Bestimmtheit diesem ins Gesicht hinein versicherte, durchaus nicht. Es helfe nichts, daß er, Maloney, sich den Kopf zerbreche. Sein Gedächtnis habe gelitten; er sei nicht mehr der Alte . . . Worauf er sich ostentativ und fröhlich anderen Gästen zudrehte, bei deren Anblick sein Gedächtnis sich auffallend schnell erholte. – Zinkeisen blieb noch eine Weile unschlüssig stehen, kaum konnte er's glauben. Seine Würde war schon so wachsweich geworden, daß sie einen Sprung mehr oder weniger bereits hinnahm ohne aufzuzucken. – So kehrte er sich schließlich seufzend ab.
    »Ich erinnere mich durchaus nicht!« rief ihm Maloney nach. »Viel Vergnügen für den Abend, Herr!« – was bei Zinkeisen ein heftiges, eindeutiges Echo auslöste. Er sprach die Antwort nicht laut aus. In ihm saß dumpfe Verwunderung, daß ein Mensch innerhalb von neun Jahren zum Reptil werden könne. War er vielleicht nicht ganz passend gekleidet fürs Hotel? Er sah an sich herab . . . Ja, richtig; sein nachmittags so blühender Anzug war bereits verschmutzt und von verdunsteter Feuchte zerknittert. Er prüfte sein Kinn: Gott sei Dank, die Rasur wenigstens hatte Stich gehalten. Diese verfluchten Leinenanzüge . . .
    Vor sich hinmurmelnd durchschritt er den Hof des Hotels. Ihm war dabei, als werde er aus all den Empfangsräumchen der Zimmer mit grauen Blicken beschossen. Sie wollten ihm nicht einmal übel, diese Blicke; sie löschten ihn einfach aus. Eine Assel war er, die schnell über den Hof schoß – sie sind lediglich zu faul, die Engländer, um die Füße von den Tischkanten zu nehmen und das Insekt mit einem Fußtritt breitzuziehen.
    – – – Auf der Terrasse fand er ein Tischchen. bestellte sich ein Menu und lauschte zunächst den Klängen des Mischlingsorchesters. Es war wie früher, nur spielten sie diesmal nicht Wagner, sondern Sullivan.
    Der Boy brachte ihm eine Flasche Haig & Haig auf einem versilberten Tablett und einen großen Siphon. Zinkeisen war sehr deprimiert, und in seiner Seele sah es schwarz aus wie am nächtlichen Himmel. Lichtblicke schienen nicht zahlreicher drein als die schwachblinzelnden Sternchen. Er stocherte ein wenig in der stark gewürzten Platte umher, jedoch nur, um sich den Durst zu schärfen, der sich allmählich regte. Nach der schweißtreibenden Hetzjagd des Nachmittags war das kein Wunder; einige Weinerlichkeit saß ihm unter der Kehle innerhalb der Brust und verlangte dringend nach Überschwemmung – wie eine glimmende . . . Häkelspitze . . .
    Man hatte barbarisch in der guten Stube gehaust, die Zinkeisen in sich herumgetragen; nasenrümpfend hatte man sich darin bewegt und alles kurz und klein geschlagen, ohne Respekt vor Gerafftem und Gescheuertem . . . Der Steward saß, zaghaft an seiner schwarzen Zigarre saugend, still im Winkel, den die von Bougainvillia dicht besponnene Häuserwand mit dem Terrassengeländer bildete, und stierte mit aufgerissenen Augen, die zu zwinkern vergaßen, geradeaus . . .
    Ihm gegenüber stand ein unbesetzter, reservierter Tisch, vom aufzischenden, weißblauen Licht der Bogenflamme übersprüht.
    Auf einmal schien der Tisch umringt von Leuten in weißen oder rohseidenen Smokings. Zinkeisen wunderte sich kaum; nur ein seltsamer Frieden zog in sein Herz. Die Leute wirkten ein wenig schemenhaft, doch das störte ihn nicht. Sie lärmten und pokulierten; wie aus weiter Ferne klang's; merkwürdig deutlich . . . Sie stießen an mit hohen, zylindrischen Gläsern, und auf einmal wandten sie wie ein Mann die Gesichter zu ihm hinüber, breit grinsend, und riefen: »
Hello, Eddy! – Here 's to you!
«
    Der Ruf klang, gesondert vom Orchester, wie von einsamer, entrückter Ebene herab; und jetzt drehte auch noch ein junger Melancholiker, der bei ihnen saß, den Kopf und schickte einen unbeteiligten Blick hinüber. Und Zinkeisen hatte gleichfalls sein Glas erhoben und rief ins Blinde und Leere hinein, mit kurzer, schneidiger Stimme: »
Same to you, gentlemen!
« – worauf er das Glas kommentmäßig stramm auf den Tisch zurücksetzte. Sein Mund blieb offen stehen; plötzlich erkannte er im Gesicht des Majors Prendergast dieselben Züge wieder, denen er vor nicht allzu langer Zeit im Rauchzimmer des deutschen Hotels seinen ganzen Abscheu vor dem Leben gebeichtet . . . Ha! Das war derselbe Mann gewesen, derselbe!! . . . Ein wenig älter hatte er ausgesehen; nun, die Kriegsjahre bewirkten das . . . Der saß nun da . . . wie war

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