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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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das doch? . . . Der saß nun wieder dort drüben . . . Wo? Wo? – die Bogenflamme zischte; der Tisch war leer. Teufel auch, wie deutlich man derartiges wiedererleben kann, im Gedächtnis! Und langsam, wie wenn eine Geisterhand Stück nach Stück zu einem Mosaik füge, tauchte das Bild des Abends vor neun Jahren, der hier an dieser Stelle begonnen, im Rauschen der Orchestergeigen wieder auf . . .
    Jäh packte ihn eine Eishand ans Herz: Er war kein freier Mann mehr. Der Urlaub vom Kapitän!!
    Er riß seine Uhr heraus; es ging auf halb neun. Der Urlaub war überschritten. Fast gleichzeitig mit dieser Feststellung kam aber eine große Gleichgültigkeit, über die er sich, mit scheuem und immer keckerem Erstaunen, kaum mehr verwunderte. Angeschnauzt, dachte er, werde ich auf alle Fälle, ob ich nun jetzt zurückkomme oder morgen früh . . . Mit dem Löschen ist man ja doch nicht vor morgen nachmittag fertig, und ich habe meinen »
Permit to land
« in der Tasche . . . Warum soll ich mir nicht ein gründliches Wiedersehen gönnen mit dieser Stadt?
    Diese Gedanken kamen ihm nicht wörtlich; es war nur ein instinktiver Trotz, der ihn die Uhr wieder in die Tasche versenken ließ . . . Er zahlte und ging. Seltsam schloß sich der Kreis, wiederholten sich die Phasen des damaligen Abends. Bei allem, was auf ihn zukam, spürte er Bekanntes – als habe man ihn wie ein mechanisch dahinschnurrendes Spielzeug auf eine vorgezogene Bahn gesetzt. Er ging durch die Hotelhalle und stand im Eingang. Herrgott, diesen Kuli, der dort wie ein ruhendes Kamel ungelenk auf seine Füße kam, kannte er doch! Das zerknitterte, alterslose Gesicht! Die ruhelosen Rattenaugen!
    Mit großer Selbstverständlichkeit trat der dunkle Herr aus Bronze wieder auf den Plan. Zinkeisen sagte nichts; äußerte keinen Wunsch. Er lehnte sich im bemalten Kasten zurück und ließ sich dahintragen. Und siehe: die fatalistische Traumfahrt blieb ihrem Ziel treu; er war der Würdenträger in der Sänfte . . . Ein großes, träges Glück umspülte ihn mit den feuchten Atemstößen des Monsun, der dieselben von chinesischen Schriftzeichen bedeckten Wimpel wie einen Flaggenwald bewegte. Da war das von bunten Lichtern schwärende Loch, und darüber tauchten grell sich ins Hirn ätzend die transparenten Buchstaben auf: »
City Opera...
«
    Es kam so, wie es kommen mußte. Zinkeisen geriet nicht in die vorderste Loge, sondern in eine der Bankreihen. Er war sehr betrunken.
    Ein rosa Zettel wurde ihm in die Hand gedrückt, und darauf entzifferte er taumelnde Buchstaben, lallend die Lippen rührend: »
... will present... The Most Comical Play... Baktom & Baktim...
« Auch dies berührte ihn seltsam bekannt. Sehr nett, dachte er. Man hat das Programm nicht geändert seit damals . . . Seit neun Jahren; das ist doch wenigstens konsequent; ist etwas, worauf man sich verlassen kann . . . Ja, auf den Osten kann man bauen! Er ist herrlich zeitlos! Immer bleibt es dasselbe! So ein kleiner Weltkrieg: – Was kümmert der diese Leute? –
    Es ist noch zu berichten, daß zwei Chinesen, gut gekleidete Herren sich seiner annahmen und ihn von beiden Seiten stützten. Seine Bemühungen, diese freundliche Hilfe dankend abzulehnen, schliefen zusehends ein. Sein Kopf war hinreichend klar, um eine kleine Unterhaltung zu führen. Die gelben Herren (eigentlich, wenn man's genau nahm, einwandfreie
gentlemen!
) wußten seine Pointen zu schätzen und lächelten mächtig. Es ist doch schön, es mit gebildeter Gesellschaft zu tun zu haben. Wozu soll man auch so prüde sein! Gelb ist eben gelb, in Gottes Namen! Sind es deshalb keine Menschen?
    Ein Gefühl der Dankbarkeit beschlich ihn. Bei der Suche nach Zigaretten, die er ihnen anbieten könne, erwischte seine Hand ein Stückchen Kartonpapier, dessen Herkunft ihm im Augenblick nicht klar war. Er versuchte, es zu entziffern: die Chinesen halfen ihm dabei. »
Individual Service,
« stand darauf, »
111, Chin-Chew-Street.
« Wenig mehr; noch ein kleingedruckter Name. – – »Sollen wir Sie dahin begleiten?« fragte der eine der Hilfreichen; und der andere, wie ein Papagei: »Es ist eine gute Adresse . . . Sehr gutes Haus . . .
veely good house... nice boys... nice girls...
«
    »Wird gemacht«, sagte Zinkeisen und verließ den Schauplatz mit seinen Freunden. – Wie er dann dahin geriet, war ihm nicht ganz klar. Nur einzelne Bilder blieben ihm hängen: mit einer seltsam farbigen, fremdartig-beklemmenden Wollust

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