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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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wieder ein, weil man aufpassen mußte, und Zinkeisens Blick verschleierte sich wieder und blieb in satter Gedankenlosigkeit auf dem Rücken des Knaben haften. Versonnen sah er unter der seidigen, elfenbeinweißen Haut die in mäßiges Fettpolster gebetteten Muskeln spielen . . . Dieser Rücken, elastisch bald gebogen, bald gestreckt mit den weich sich entfaltenden und zusammenrückenden Schulterblättern, befriedigte ihn dumpf. Unter dem zerfransten, schmutzigen Leinenhut quoll des Knaben schieferschwarzes, steifsträhniges Haar hervor; oberhalb des Gürtels, der die sackähnliche Hose hielt, feuchtete sich die Haut der Hüfte sanft von Schweiß . . . Das Motorboot war vorüber, und der Junge wandte wieder den Kopf. Nächtliche Pupillen schwammen im öligen Bernstein seiner Iris, in schiefen Augenkerben, seidig befransten, die wie hineingeschnitten saßen in die beingelbe Haut der vollen Wangen. Schlohweiße Zähne entblößten sich bis zum rosa Kieferfleisch. Mitten in Herrn Zinkeisens treuherzigen Hamburger Blick hinein lächelte das junge China. Das war irgendwie eine ungemütlich, schwer zu definierende und keineswegs alltägliche Sache . . .
    Der Hafen trieb den süßlichen Duft des Dampferabfalls in seine Nase, und irgendwoher schwamm die Atembeklemmung gärender Stapelkopra, vermischt mit Teer.
    Zinkeisen war es, als müsse er sich gleiten lassen. Er schwatzte darauflos; doch war ihm, als wolle man das Mark aus seinen Knochen saugen . . . Der nackte Leib vor ihm beschwor andere Bilder herauf, denen er sich nie hatte nähern dürfen, seiner Reputation halber, und an denen er damals mit unmutigem Stechschritt streng vorbeimarschiert . . . Er riß sich zusammen. Er setzte sich steif und bereitete sich auf die Landung vor. Man legte an der Wharf an.
    Beide waren gleichzeitig eifrigst dabei, ihm aus dem Boot zu helfen. Der Junge stützte den Fahrgast beim Hinüberschreiten unter der Schulter. Dabei ließ er ihm ein kleines Stück Kartonpapier in die Außentasche der Jacke gleiten und lächelte ganz gewaltig, wie auf Vorschuß . . . Zinkeisen hatte den glatten Arm wohl bemerkt, der sich so flink an ihm zu schaffen machte, doch tat er so, als sei er blind . . .
    Mit kühlem Paschablick entlohnte er den alten Fergen. Diesem half es nichts, daß er im Hinblick auf den Jungen etwas Krauses und eilig Eindringliches zu stammeln sich mühte. »
Good boy
«, hörte Zinkeisen heraus. »
Good guide...
« – Zinkeisen ließ beide stehen und trat auf die Straße. Die grellen Ansprüche des Lebens fegten die verschwommene Träumerei dieser Fahrt aus seinem Kopf.
    Er holte sein Notizbuch hervor und gab dem Rikschakuli die erste der sechs Adressen, die er heute zu bearbeiten gedachte . . . Dann schwang er sich ins Gefährt und dirigierte, mit dem Rohrstock an die Schultern des Trabenden tippend, sein menschliches Zugtier.

Das Echo von früher
    Zinkeisen hatte kein Glück mit seinen Geschäftsbesuchen. Teils waren die Parteien, auf die er es absah, seit dem Krieg nicht mehr am Platze; teils wurde er mit einer so eisigen, auf schnellste Abfertigung erpichten Miene empfangen, daß er es mit seiner Würde nicht vereinigen konnte, ein Plädoyer des im Schwefelgeruch schlimmer Tücke stehenden Vaterlandes und insbesondere des eigenen wohlmeinenden bedrückten Selbstes zu führen. Schon nach drei vergeblichen Besuchen merkte er endgültig, daß der Wind zu scharf wehe, um den Musterkoffer am Horizonte auferstehen zu lassen – ganz zu schweigen vom blauen Band irgendwelchen Völkerbundes, das es bieder zu schlingen gelte. – Ganz im Gegenteil erfuhr er Herbes, Nachteilig-Unhöfliches, geradezu unmotiviert Aggressives.
    Wir wollen seine Märtyrerfahrt nicht in ihren einzelnen Etappen aufhellen; genüge es, allgemein anzumerken, daß die Geistesverfassung der »Straits Times« es Herrn Zinkeisen noch nicht gestattete, sich als Menschen zu empfinden. Er sprach auch später sehr ungern von der Art und Weise, wie man ihm das deutlich machte.
    Mittlerweile, gänzlich erschöpft und eingeschüchtert, suchte er als letzten Schauplatz seiner damaligen Tätigkeit das Adelphi wieder auf, in der Hoffnung, Maloney daselbst noch anzutreffen und Erinnerungen mit dem sanguinischen Iren zu tauschen. Auch hier sollte er enttäuscht werden. In apoplektischer Bonhommie, im Wasserfett ungezählter »
High-balls
« blühend, war der Gute zwar noch zur Stelle, jedoch entsann er sich Herrn Zinkeisens, wie er mehrfach mit ebenso

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