Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Dampfers«. Das war das größte Entgegenkommen, zu dem sich das Britische Reich gerade noch verstieg; dieses war noch grimmig und an allen Weltenden von den Nervositäten der Nachkriegszeit durchzittert. – Vom Kapitän aus hatte Zinkeisen um Punkt acht Uhr abends wieder an Bord zu sein. Er hatte sich für diesen Ausflug umgezogen. Statt der verschwitzten Leinenjacke mit Messingknöpfen und Hosen aus blauem Tuch, seiner Schiffsuniform, trug er heute einen tadellos gebügelten Tropenanzug, in Port Said fertig erstanden und bislang streng geschont. Zu steifem, etwas zu hohem Kragen eine jauchzend grüne Binde; an den Füßen frischgeweißte Segeltuchschuhe; auf dem Kopf einen zerbeulten Korkhelm. – So angetan, gedachte er, wenn es sich irgendwie machen lasse, diese oder jene Geschäftsverbindung von 1914 tastend wieder aufzunehmen; er hatte in seinem Notizbuch die Adressen ansässiger Kunden zur Hand; er wollte forsch ins Zeug gehen und die paar Stunden ausschlachten; glückte ihm ein einziger Auftrag, so konnte er vielleicht bei Bolshagen, wo man ihn in der Revolution jämmerlich abgebaut, wieder unterschlüpfen und seinen Interims-Schiffskellner an den Nagel hängen . . .
Wenn auch noch ein Rest der alten Stämmigkeit in seinen Bewegungen ersichtlich war, so konnte doch nicht geheim bleiben, daß Zinkeisen an Format verloren hatte. Gut und gern dreißig Pfund. Sein Gesicht war jetzt glatt rasiert; seine Stimme leiser. Mit einer ausgiebigen Summe in U.-S.-Dollars in der Tasche (entnommen der sorgfältig geschonten Devisenanleihe bei Herrn Brecht) bestieg er einen der Sampans vom Fallreep aus und stieß ab, der Wharf zu.
Zunächst saß er, von dem Sonnefunkeln geblendet, das über dem bleichgrünen Wellengekräusel der »Brani-Shaols« wie ein Schleier lag. Er kniff die Augen zu; altbekannte Gerüche kamen heran im feuchten Wind. Das Hirn eingewiegt ins lässige Dämmerlicht des Lidblutes, atmete er tief, als sauge er dies Indien mit einem Zug in alle Poren zurück. Als sei es gestern gewesen, anstatt vor neun Jahren. – Dieselben Raubvögel, deren Flugspiralen sich überschnitten, tropften ihre hohen Geierschreie herab. Zerfetzte Blüten schaukelten im schillernden Abfall der Dampfer, und zuweilen schob sich der fahle Schatten eines Haies quer durch die Kiellinie des breiten, flachen Bootes. Zinkeisen blinzelte . . . Sein matter Blick traf die Lagerschuppen an den Werften, langsam wurden ihre Konturen plastisch, und grellweiße Regierungsbauten entstanden auf einem Hintergrund welligblauer, glutgebadeter Hügel . . . Alles war wie damals und rückte auf ihn zu mit weitgeschwungener, einraffender Geste. Indem sein Auge einen Ruhepunkt suchte, blieb es auf dem Rücken des Rudernden haften, der vor ihm saß.
Es war ein kräftiger Chinesenjunge. – Am Steuer hinter ihm hockte ein schwarzbraun gebrannter alter Malaie mit einem breitkrempigen, dunkelgrün lackierten Palmbasthut, in dessen Schatten sein Gesicht sich witternd und kauend regte wie das eines alten Bauernweibes.
Über die Schulter des Knaben hinweg erhaschte Zinkeisen den Blick des Alten; unverzüglich grinste dieser im Schatten des Topfhutes und sprach aus der Tiefe eines hohlgesungenen Brustkorbs, zwischen betelroten Zähnen hervor, einige offenbar speichelleckerische Worte. Affenschnelle Verzerrungen zerknitterten dabei sein Gesicht.
Der junge Ruderer drehte den Kopf und betrachtete ebenfalls höflich lächelnd den Fahrgast; er wiederholte die Worte des Alten mit heller Zwitscherstimme. Hätte Zinkeisen jetzt die alte biedere Maske, die frühere eiserne Miene aufgesetzt: flugs wäre das Gespräch eingeschlafen, und es wäre nichts mehr erfolgt. Er war aber diesmal so benommen und von Wiedersehensbeklemmung mit dem asiatischen Orient ergriffen, daß er zurücklächelte. Das war Wasser auf die Mühle der beiden.
Es ist zuviel gesagt, wenn man von Unterhaltung spricht . . . Es war ein sprunghaftes und stammelndes Sichverständigen in den paar malaiischen Ausdrücken, die er aus dem Gedächtnis grub, in ein paar Pidginbrocken, wie man sie die Malabarküste hinab gebraucht. Doch es genügte vollauf, um eine großzügige Heiterkeit im Boot wachzurufen. Der Herr scherzte; also hatte er Geld . . . Denn wer Geld hat, darf scherzen und kann sich alles kaufen . . . Während einer Pause, die durch das Vorbeistürmen eines graulackierten britischen Wasserwindhundes, eines Motorbootes der Zollbehörde, nötig wurde, schlief die Unterhaltung
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