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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Sense und Glas sich in der Mitte schnitten. Die anderthalb Meter hohe Uhr hatte edelste Form, sparsamen Girlandenschmuck aus Silber, das Zifferblatt bestand aus Schildpatt, die Zahlen aus gelbem Elfenbein. Das ganze Material war Ebenholz. Ich klopfte an den Pendelkasten; es gab einen hohlen Ton.
    »Klopf' mal stärker,« sagte Kaps aus seinem Sessel heraus mit eigentümlich belegter Stimme, – »und halte dann dein Ohr dran.«
    »Dann hört man wahrscheinlich das Schlagwerk«, meinte ich. »Es wäre doch amüsant . . . sie aufzuziehen . . .«
    Ich klopfte stärker und hielt das Ohr dichter ans Holz. Und nun hörte ich etwas Eigentümliches . . . Ein hohes Sirren wie einen ganz, ganz fernen spitzen, langgezogenen Schrei . . . Womit, zum Teufel, konnte man das vergleichen? Die tremulierende »I«, das sich wie ein trompetender Moskito an meinem Trommelfell rührte? Es schien kein mechanisch hervorgerufener Ton; es schien irgendwie mit einer grausig feinen Qualität geladen; – es vibrierte schwächer, und dann plötzlich – riß es ab.
    Ich trat zurück. Etwas hatte da geklungen, das mir Pein verursachte wie ein Nadelstich am Herzen. Ich hielt nochmals das Ohr ans Gehäuse: nun schwoll mir lediglich ein Sausen entgegen; das Sausen des eigenen Blutes. Oder war es das Rauschen der Zeit, das sich in dieser Muschel verfangen hatte wie im Leib eines finsteren Cellos?
    »Irgendein altes Zinkenspielwerk steckt dadrin«, meinte ich plaudernd und schlenderte zurück. »Venetianische Arbeit. Sie riecht außerdem ungemein muffig, deine Uhr. Gründlich desinfizieren, Kaps, das wäre das Wahre. Ölen, reinigen, in Betrieb setzen . . .«
    »Sonst noch etwas?« fragte er salopp, noch immer mit dieser belegten Stimme. »Übrigens wirst du dich wohl schon gewundert haben, daß ich das Ding, so wie es ist, los sein will. Lache nicht . . . Aber neulich hatte ich eine Art von Erscheinung, die irgendwas mit dem Möbel zu tun hatte.«
    »Mit deinem normalen Quantum Portwein?«
    »Meinem ganz normalen Bettquantum. Zwei Gläsern. – Doch warte: eh' ich dir's erzähle, muß ich dir was zeigen.«
    Er stand auf und winkte mir, ihm zu folgen. Wir überquerten einen Korridor in der Dunkelheit. Dann öffnete er eine Tür und drehte Licht an in einem geräumigen Gemach, in das ich (ich war erst seit gestern geladen) noch nicht getreten war. Es ergoß sich eine taghelle Flut von Licht: vierundzwanzig Mattbirnen an einem schönen Lüster flammten auf. Keine Maus hätte sich in der Beleuchtung verstecken können. Wir standen in einer Art Ahnengalerie . . . Man verzeihe mir diesen Ausdruck! »Ahnengalerie« klingt so sehr romantisch, wie? Doch nachdem ich das »Wappen« in der Toreinfahrt erwähnt habe, muß man mir auch diese letztere Feststellung nicht verdenken . . . Es hingen in Gottes Namen wirklich einige Bilder da, die nachweislich Vorfahren von Kaps vorstellten, von guten Künstlern gemalt. Er führte mich vor ein leicht nachgedunkeltes Gemälde. »Schöne Person, was?« sagte er nicht ohne Selbstgefälligkeit.
    »Ahnen vermehren sich in die Vergangenheit hinein wie Kaninchen«, versetzte ich hämisch. »Wann soll sie gelebt haben?«
    »Dem Bild nach –« dozierte er unangefochten, »war sie Anno sechzehnhundertzwanzig ungefähr dreißig Jahre alt. Damals gab es natürlich ganze Horden von Ahnfrauen zum Endzweck meiner eigenen kürzlichen Geburt; immerhin ist sie in ziemlich direkter Linie mit mir verknüpft, denn unsere männlichen Vorfahren, soweit sie nicht Eigenbrödler blieben, waren kinderarm; und bei den Weibern schätzten wir das Temperament höher als wirtschaftliche oder Mutter-Meriten. – Ich muß dir gestehen, sie wäre mein Fall, wenn sie aus dem Rahmen stiege . . .«
    Ich staunte immer mehr. Die junge Ahne wurde verteufelt lebendig, wenn man sich in ihre schwarzen Augen verlor. Die kurzen Lippen standen etwas geöffnet, als sei sie kurzatmig; ein raffiniert duftig gemalter Spitzenkragen in Mühlsteinform lastete auf ihren zarten Schultern. Der sechsfach gepuffte Ärmel entließ unten wie eine Blume eine gespreizte blasse Hand, die in der Hüfte saß. Ein großer Rubinring glänzte am Mittelfinger. In der anderen Hand hielt sie tändelnd einen roten Fächer. Es war ein kecker weinroter Farbfleck.
    »Sieh mal genau über ihre Schulter«, sagte Kaps still.
    Ich spähte. Aus der purpurbraunen Dunkelheit des Hintergrundes gruppierte sich langsam aber unabweislich ein silbernes Tödchen  . . . auf

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