Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
mit papierdünn geschnittenem Käse. Gestern ist es Milchreis gewesen, und er hat mit dem flachen Löffel in den Kratersee von brauner Butter geschlagen, so daß Babette, die ihr kurzatmiges Gesicht immer in der Nähe hat, sattsam bespritzt worden ist; sie hat schrill gescholten. – Als er fertig ist, spielen sie Schwarzer Peter. Während Babette die Karten abhebt und eine »düstere« Konstellation erkennt, bekommt sie wieder ihr Zweites Gesicht; doch als sich die Hand bessert und sie harmlosere Farben findet, grunzt sie erleichtert auf, und ihr Blick wird wieder weich. Sie gewinnt, und er muß sich mit dem geschwärzten Kork, der für diesen Zweck bereitliegt, die Nasenspitze betupfen lassen. Es ist heute das drittemal, daß sie gewinnt; er steht auf und sagt sehr hoch und bestimmt: »Du schwindelst!!« Ein »besseres Kinderfräulein« hätte süßlich amüsiert gelächelt; sie aber, schlichtes Weib, das sie ist, haut sich auf die Knie und lacht krähend heraus . . . Er schlägt nach ihr, in steigender Wut; sie aber setzt ihm die solide Härte eines Baumstammes entgegen; er tut sich nur die Fäuste weh. – Schließlich verdrießt's ihn, und er will ins Bett.
Dies Ins-Bett-Gehn ist eine umständliche Angelegenheit. Er wird in einer Gummibadewanne gewaschen, obwohl er es nachgerade allein besorgen könnte; doch Babette läßt sich dies ihr fünfjähriges Privileg nicht wegdisputieren. Dabei pflegt sie ihm Geschichten zu erzählen; und wenn sie ihn abtrocknet und die Pointe auf sich warten läßt, nimmt sie jedes seiner Gliedmaßen einzeln vor, wobei sie sich in die Zehen und Finger vertieft. Meistens entwirft sie Zukunftsbilder und erschafft in ihrem Bauernhirn eine reichhaltige spätere Garderobe für ihren jungen Anvertrauten. Sie stellt sich die Berufe und Staatsanstellungen vor wie eine glanzvolle Treppe, deren ansteigende Stufen zu einer wachsenden Buntheit der äußeren Erscheinung berechtigen, bis die unmittelbare Nähe des Herzogs das Individuum im blendenden Glanz von Goldtressen fast verschwinden läßt. Dabei schwebt ihr dunkel so etwas wie ein Zirkusportier oder gar ihr eigener »Wirklicher Geheimer Sanitätsrat« vor, im Moment, wo dieser sich, im Dreispitz und mit einer schimmernden Sammlung von offiziellem Spielzeug behängt, zu einer höfischen Funktion begibt.
Sie hat ihn einmal flüchtig im halbverdunkelten Korridor so gesehen und wird den Verdacht nicht los, daß er unter seinem mausgrauen Gehrock diese Pracht andauernd trage, ja sie gleichsam nur verschmitzt verstecke, um andere Kreaturen, die von Natur und nicht nur aus Laune mausgrau sind, überrumpelnd zu blenden. Die Puppe ist von der Alltagsfarbe eines Plessenberger Dauerregens; der Falter aber, der nach Belieben hervorschlüpfen und so prächtige Schwingen spreizen kann, heißt »Exzellenz« . . . Ja, schon bei leiser Nennung solch reservierten Gattungsnamens streckt er Tastfühler hervor, die allein schon genügen, jeden erstarren zu machen. Nur der Herr Dr. Dunlop, der besitzt die Keckheit, die nur ein hochgebildeter Mensch besitzen darf. Er gibt den Fühlern einen Puff, und sie kriechen zurück. – Vielleicht hat auch er einige Orden, im Hemd eingenäht.
Albert, der Würdenträger
en miniature,
wird heranwachsen und in den Platz treten, den der Vater – unberufen – einmal freiläßt. Dann erbt er alles, auch den Dreispitz, der auf sein blondes Haupt passen wird, wenn Babette noch gerade am Leben ist. Da: auf einmal wieder fühlt sie sich hypnotisiert: – von der Kerze auf dem Waschtisch, in deren Licht ein Tropfen auf des Knaben weißem Rücken glitzernd herabrinnt wie eine Träne. Sie starrt in die Kerze; ihre Pupillen werden glanzlos. Es wird nichts mit dem Dreispitz. Es wird nichts mit der Treppe. Wo Goldtressen schimmern sollten, ist ein schwarzes Loch, aus dem ein Zwielicht fällt. Und in diesem Zwielicht bewegen sich hastige Leute, die in fremden Zungen durcheinanderplappern; ein scharfer Wind saust. Er fährt zwischen Vorhängen durch in geheimste Winkel: keine dicken Mauern helfen da; kein geräumiges Haus, voll von Urvätermöbeln. Keiner Lampe gelbes Licht scheucht ihn weg, kann ihn beschwören; und durch das Sausen hört sie, verklingend, die Stimme Alberts.
. . . Ihre Pupillen werden wieder lebendig: – er weckt sie auf; neckt sie wegen ihrer Schläfrigkeit; protestiert dagegen, weiter gewaschen zu werden. Er habe heute genug vom Wasser; er habe sich »freigeschwommen« . . . Er will noch weiter erzählen
Weitere Kostenlose Bücher