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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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das Leben liebst, in jeder Form! Daß du es liebst bis zu dem Augenblick, wo dein Dasein so grenzenlos wird wie seines! Wo du dich losreißt und im Sturm fortgewirbelt wirst als geflügeltes Samenkorn!«
    Uli blickte auf die Thujahecke.
    Und da sah sie etwas Seltsames: Jan Gustav trat aus der dunkelgrünen Wand. Weiß leuchtend.
    Er jauchzte mit gläserner Stimme und lief, so rasch ihn seine Kinderbeine trugen, die Hecke entlang dem Flusse zu.
    – – – Währenddessen schritt die silberne Regenwand heran, in der Jan Gustav unterging. Und mit dem Bersten der Himmelsschleusen öffnete sich auch die Erlösung für Uli: das befreiende Weinen.
    Ihre Tränen mengten sich mit dem niederpeitschenden, warmen Regen; auch der Talar des Pastors Lüders begann zu triefen. Und doch blieb er sitzen. –
    Er war ein merkwürdiger, ein ungewöhnlicher Pastor.
     
Siebentes Bild
Vom orangefarbenen Herzogtum

I
    Er hat sich soeben »freigeschwommen«. Dadurch, daß er ohne Korkgürtel quer über den lehmgelben Fluß (die Hauptwasserstraße des schläfrigen kleinen Herzogtums) und wieder zurückgeschwommen ist, hat er ein großes Privileg; man wird in Zukunft nicht mehr zetern und den gütigen Himmel beschwören, wenn er ohne Aufsicht ins Wasser steigt. – Sein Vater ist zu diesem Examen erschienen und hat von der bretternen Badeplattform aus zugesehen. Als der Sohn prustend landete, haben Papa und Dunlop, der Erzieher, ein sehr wohlwollendes Benehmen gezeigt. – Nun kehrt man von der Badeanstalt zurück, und wie um die Gelegenheit noch besonders festlich zu illuminieren, brennt jenseits des Flusses eine Viertelmeile entfernt die große Zelluloidfabrik nieder.
    Sie bleiben stehen und blicken zurück. Der Himmel ist voll träg geballter Augustwolken. Von ihren Rändern trieft noch der satte Widerschein der Sonne, die gerade unter den Horizont geglitten ist; die zerquellenden Massen strahlen rosa von innen heraus. Doch unter ihnen regt sich etwas Fremdes, Lebendigeres, das sie überbieten will. Teerschwarze Schirme spreizen sich untereinander, und zwischen ihnen geisternd, halb entblößt bald und bald versteckt, zuckt blutig die gefräßige Flamme. Und je dunkler blutrot es blitzend rinnt, desto schwerer türmen sich die schwarzen Schirme, wachsen die riesigen Pilze empor. Papa deutet mit seinem Bambusstock in die Höhe. – »Merkwürdig!« sagt er; »man sieht kaum, wo die Wolken aufhören und wo der Qualm beginnt; so natürlich fließt das zusammen.« – Dunlop, durch die Zähne pfeifend, stimmt bei. Und dem kleinen Albert kommt es beinahe so vor, als sei das Phänomen mit dem Qualm das einzige, was an dem ganzen Brand von Wichtigkeit sei.
    Sie gehen weiter durch die abendliche Gegend. Das Zwielicht dauert lange im Herzogtum Plessenberg.
    Die Pappelallee, die in das Villenviertel führt, ist voll von Staub und Rädergeräuschen. Albert hält seine ausgequetschte Badehose in der Hand, zum Klumpen geballt, und trabt in träumerischem Zickzack bald vor, bald hinter den großen Männern. Nun wird die Dämmerung tiefer, und die Männer werden zu schwarzen, wandelnden Türmen. Papa gibt Dunlop von seinen »Brevas«, den großen dunklen Zigarren, die er ständig raucht . . . Wie Wurzeln sehen sie aus bei Tageslicht. Sie geben eine Art Feuerwerk von sich, ehe sie brennen. Dunlop bestreut Albert mit Asche, sagt gedankenlos: »
Ah, pardon
«, und klopft ihn auf gut Glück ab, in das Dunkel hinein. Dabei unterhält er sich fortwährend zu Papa gewendet über Dinge, die Albert nicht versteht; – doch einzelne ungewöhnliche Wörter hascht dieser auf und macht Fabeltiere aus ihnen, die ein paar Herzschläge lang vor ihm bunt auf dem finsteren Pfade leben. Zwischendurch macht seine Seele schnelle, sehnsüchtige Ausflüge hinter die Pappeln über die welligen Wüsteneien von Fabrikabfall bis zu dem Punkt, wo diese beschränkte Zwielichtwelt einen Abschluß hat und eine neue, grellorangefarbene, beginnt . . . Nie würde er hoffen können, über diese zahllosen Schlackenberge zu klettern; Dursttod würde ihn ereilen zwischen Blechbüchsen und erstaunlichen Knochen, bevor ihm beschieden sei, das Mysterium jenes orangefarbenen Herzogtums zu ergründen . . .
    Pflaster erklingt unter ihren Schritten. In spärlicher Kette zu beiden Seiten brennend, bestrahlen Gaslampen endlose Gartenmauern. Abgeblühte Fliedersträuche, zu schwarzen Klumpen gruppiert, hängen darüber und drängen sich nach den schwachen Zirkeln der Flammen. Es kommen noch

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