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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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ist er dreizehn Jahre alt, hat mittelmäßige Schulzeugnisse und weiß viel von dem, worauf es ihm ankommt. Er ist überall im Wege, denn stets heften sich seine halbgesenkten, tiefblauen Augen auf Dinge, die anderen Leuten belanglos erscheinen, und hinter seiner hübschen, weißen, gewölbten Stirn vollziehen sich hellsichtige Spekulationen unaussprechlicher Art. Hat er den Schulweg hinter sich, den er in sonnetrunkenem Zickzackschritt zurücklegt, so entledigt er sich zu Hause seines Lederranzens mit einer Gewandtheit, die auf vielmonatigen Überdruß am Zwang schließen läßt – er wirft die ganze Wissenschaft mit einem Schwung in die Nähe seines Schreibpultes, womöglich zum Fenster hinein, und freut sich, wenn es recht rasselt und Lärm verursacht.
    Und dann, indem sein Blick sich vertieft, etwas Starres bekommt, schlendert er wie ein junges Weidefohlen in den Garten hinein. Die Schwalben, die durch den Sonnenglast schrillten, sind plötzlich zerstoben und lassen eine sekundenlange Stille zurück. In diese Stille wächst der warme, feine Lärm der Insekten gewaltig und betäubend hinein; und hat er die Oberhand gewonnen, dann ist es wie zuvor: dann vibriert alles von Leben, dann werden Millionen Atemzüge und Pulsschläge wach, bis irgendein fremder Ton, eine ferne Fabriksirene diesen Schleier von Lauten wiederum brutal zerreißt.
    Der kleine Albert spaziert als Mittelpunkt in dem warmen, pflanzlichen Leben umher und duldet gern, daß alles, was er wahrnimmt, sich auf ihn bezieht. Er begutachtet alles und freut sich der kleinsten Entdeckungen. Zunächst hat er die Hände in den Taschen seiner kurzen Leinenhose; dann beginnen sie ungeduldig zu zucken und möchten in die Vorgänge eingreifen, überall hinein, und sind sie einmal am Werk, dann gibt es kein noch so schmächtiges Wesen, das die erdbeschmutzten geschickten Finger nicht ergriffen hätten.
    Er hockt im Sand, den Kopf fast zwischen die Knie gesteckt, und baut einen Laufzirkus für einen Käfer, der sich in kopfloser Flucht abstrampelt und den er zwingt, zu seiner Belustigung einen ratlosen Kreis zu beschreiben. Zugleich bedauert er ihn, er fühlt ihm das Peinliche seiner Lage nach, er erleichtert ihm mit einem nachdenklichen Strich seines Fingers den Ausweg und gerät in Entrüstung, wenn man seine Absicht mißversteht. Er sieht grübelnd, die Wimpern tief gesenkt, wie alles sich verfolgt, überfällt und auffrißt; seine Phantasie vergrößert diese kleinste Welt zu einem schaudererregenden Blutbad, an dem er selbst als Zuschauer beteiligt ist; und so wird ihm der Zwang klar, der durch den kleinsten Vorgang geht. Zugleich aber empfindet er die Lieblichkeit eines Falters so stark, daß er ihn atemlos betrachtet, fast gerührt von der holden Unbewußtheit des ephemeren Daseins, das nur wie ein farbiger Schatten ist. Die vier violettbestäubten Augen, die plötzlich aus dem seidenen Schwarz der Schwingen hervorblinzeln, sollen ihn schrecken wie jedes andere Geschöpf; und auch der kleine Albert sieht, daß der Falter phantastisch bunt ist, und das macht ihn stutzig.
    Zuweilen liegt er, die Hände unter dem blonden Kopf gekreuzt, im Gebüsch, und sein Blick verliert sich in den Blättermassen. Und jetzt, wo es spät im warmen Mai ist, rieselt auch oben der Atem des Geschehens . . . . Die Blutbuche am Fluß bebt, voll entbreitet, unter dem Celloklang der Bienen, die ihr emsiges Tagewerk an winzigen Kelchblättern treiben; der Faulbaum schwenkt seine hängenden weißen Dolden wie Weihrauchgefäße; jeder Windhauch wühlt neue Duftwellen auf. Halb unter Sträuchern vergraben, hebt der Ahorn seine hellgrünen, gezackten Blätter wie Hände empor, die unter der Last der unablässig niederströmenden Lichtfülle leise und verschämt schwanken, über den samtdunklen Grund seiner Zweige. Die Espe zittert mit tausenden ovaler Blättchen für das Gedeihen ihrer rotbraunen Blütenschwänzchen; sie weiß, niemand tut ihr ein Leid an, alles vollzieht sich nach alter Weise, geheime Maßnahmen walten gütig und warm auch um sie, und dennoch zittert sie. Der kleine Albert betrachtet sich den nervösen Baum und muß verstohlen lächeln. Er ist so glücklich; »man« ist allgegenwärtig. Was »man« ist, weiß er nicht; jedenfalls macht dies alles, was er sieht und fühlt, ein Zweites aus, mit dem er ein behagliches Einverständnis hat. Man duldet ihn, man will ihm wohl, man haßt ihn nicht; er ist ein persönliches, anspruchsloses Einzelstückchen der großen

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