Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
von dem Brand; von der roten, still rieselnden Flamme . . . Sobald sie aber versteht, wovon er redet, stülpt sie ihm schier erschrocken sein langes Hemd über den Kopf. Er kriecht in das eiserne Bett, das aus der Zeit stammt, wo er halb so groß war wie heute; es hat damals ein Netz gehabt als Umzäunung, aus blauen Schnüren. Liegt er einmal drin, so darf er erst wieder heraus, wenn all das sanfte Dunkel um ihn sich »ausgebrütet« hat und den ersten Sonnenstreifen zwischen den Gardinen gebiert.
Mittlerweile nimmt Babette die Lampe und setzt sich bei offener Tür ins Nebenzimmer. Dort blättert sie in Traktätchen und in der Plessenberger Landeszeitung; sie sitzt irgendwo hinter spanischen Wänden in einem schwachgoldnen Nebel, und wenn man vorm Einschlafen dies urvertraute Geräusch von Papier hört, läßt sich fast glauben, jemand anders habe sich eingefunden und lautlos den Platz von Babette eingenommen.
Vor dem Einschlafen denkt Albert noch an das zuckende rote Ding in der Masse von Qualm. Es ist lebendig; ist ein fremdes Geschöpf, das plötzlich in einer bekannten Landschaft anhebt zu hüpfen und ein erstaunliches Wesen zu betreiben; – herabgefallen von einem größeren Planeten windet es sich wie in Scham . . . Es gelingt Albert nicht, näherzukommen; das rote Wesen bleibt ihm immer fern wie eine Wolke.
Und nun (während sein zweites Leben, das Leben neben der Tapete beginnt) muß er wieder über den Fluß schwimmen. Der Fluß ist sehr viel breiter geworden; Albert treibt dahin, ohne die Glieder zu regen. Ganz weit hinter ihm, wie kleine dunkle Puppen, stehen Papa und Dunlop. Allmählich fühlt sich das Wasser an wie weicher Stoff; und er streckt sich im Bett. Er ist wieder an den Ort geraten, wo er sich so unbeschreiblich geborgen fühlt.
An diesem Ort gibt es eine sehr breite Treppe. Sie windet sich pompös in die Höhe, viele Stockwerke verbindend; wie viele, bleibt rätselhaft, denn immer wenn man denkt, man ist ganz oben angelangt, beginnt eine neue Flucht von flachen, teppichbelegten Stufen. Der ganze Schacht – eine ins Maßlose wuchernde Wiederholung von Alberts eigenem Treppenhaus – hängt voll gewaltiger Falten, voll enormer, lastender Vorhänge aus verschossenem, dunkelgrünem Samt . . . Sie fallen steil herab ohne Regel; sie entstehen hoch in heimlicher Nacht und enden in Nacht; starr geraffte Gruppen, vom Schlaf gefesselt, der zwischen ihnen wandelt und webt . . . Albert irrt traumselig durch die engen Gassen, die der Samt bildet; da und dort sieht er kolossale Quasten pendeln, wie sie in Papas Studierzimmer von den Portieren hängen; nur sind sie hier gewachsen und schwingen schwer über einem bodenlosen Schweigen.
Zuweilen erschrickt er, als nähere er sich einer Überraschung, die ihn süß beklemme; irgendwo, denkt er, muß es hinter einer Ritze hervorfunkeln zu halbersticktem Klang von Gläsern. Er hört eine Stimme, kaum weiß er, wann es gewesen ist, daß er sie unlängst vernommen hat . . . Es ist die Stimme der anderen , die zuweilen geisterhaft den Platz von Babette einnimmt und sie verdrängt. Es ist die Stimme, die zuweilen in der Nähe seines Bettes entsteht, im schwachgoldnen Nebel der Lampe . . . Hier hat, so scheint es, die Stimme einen Freipaß und wandert umher; nistet in den schweren Falten. Stets fühlt Daniel ein Paar ihm dunkel bekannter Augen im Rücken; doch hat jener Blick nichts Erschreckendes, sondern eher etwas Einfangendes, in sanftester Umarmung Umschließendes. Es sind die Augen der kranken Mutter. Und in dem schwach erhellten, samterfüllten Treppenhaus entsteht ein Gespräch; tief drunten muß es sein. Die Stimme nennt seinen Namen murmelnd in fragender Betonung. Sie sucht ihn. Er schiebt Dutzende der wallenden Vorhänge beiseite oder kriecht darunter hinweg von einem Stockwerk in andere hinab; tastet sich die Treppe wieder hinunter . . . Zwischendurch späht er durch das Geländer in den schwarzen Schacht; da sieht er ein helles Gesicht dort unten schwimmen, unendlich klein, doch die emporgerichteten Züge fein und fast erkennbar; – das Gesicht sieht auch ihn; – ein klarer Schrei steigt herauf wie aus dunklem Wasser eine schimmernde Blase; sehnsüchtig-täppisch greift seine Hand danach, und sie zerbirst unwiederbringlich.
Da steigt er langsam über das Geländer und läßt sich in den schwarzen Trichter gleiten; er fällt langsam, rollt von einem Daunenpolster auf ein anderes und hört und sieht nichts mehr.
II
Nun
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