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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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drei Ecken; dann stehen sie vor dem schmiedeeisernen Tor der Garteneinfahrt zu Papas Haus. Papa tritt ein; das Geräusch seines Schlüssels ruft eine leise Tätigkeit in der Küche hervor; – fast unmittelbar steht das Abendessen für ihn und den Erzieher im Speisezimmer bereit. – –
    In Alberts eigenem Raum brennt die Lampe auf der schwarzen, geschnitzten Wickelkommode. – Traulich gelb schimmert sie von dem dunkelbraunen, marmorierten Wachstuch zurück. Vor nicht so sehr langer Zeit, mit Respekt zu vermelden, hat dies Wachstuch Alberts leuchtendes Fleisch matt abgespiegelt; es fühlt und sieht sich sehr eng verwandt an, findet er; sehr verschwistert mit Bedürfnissen einer halbblinden Frühe . . . Angenehme Gefühle gab es da oben; man wurde umhergerollt, einbalsamiert und bandagiert; und stieß man Gebrüll hervor, so sank unmittelbar eine sanfte Flüssigkeit aus schwindelnder Höhe herab, und das Gebrüll, zum Gurgeln abgetönt, ertrank in Letzung. – Solches geschah häufig und regelmäßig. – –
    Babette, die Kinderfrau, deren Vorhandensein hier nur den einzigen Hintergrund von Alberts Person hat, sitzt in Gesellschaft einer Kerze am Tisch, den schweren, robusten Leib gekrümmt, und befaßt sich keuchend mit ihrem nackten Fuß. Alberts knospenhafter Verstand verrät ihm noch nicht, was ein Hühnerauge ist; der Fuß, vom Kerzenlicht mit seltsamen Schlagschatten verziert, bietet keinen erfrischenden Anblick und hat etwas Unheimliches in seiner mächtigen Formlosigkeit. Als sie ihn kommen hört, versteckt Babette die Monstrosität schleunigst unter ihrem gefältelten Rock, praktiziert sich Schuh und Strumpf an und begrüßt ihn mit jener läppisch gezogenen Art von Platt, die unter der ländlichen Bevölkerung des Herzogtums Plessenberg gebräuchlich ist. Ihr knorriges, rotes Gesicht bezieht sich mit unendlichen Runzeln, und ihr offener, lippenloser Mund lächelt atemlos. – »Kommst aber heut s–pät zuhaus«, läßt sie vernehmen. »Un has die waaßen Hosen all voll mit S–taub.« – Sie kann ihm nicht böse sein.
    Eigentlich müßte sie ihm grollen. Er hat verraten, daß sie ihn vorgestern abend in die Altstadt zu einer Wahrsagerin mitgenommen hat, die im obersten Stock eines Fachwerkhauses nahe der Petrikirche waltet. Mit hoher Kinderstimme, ungefragt, hat er während des Mittagessens (wo er den Mund halten sollte) plötzlich einen hastigen, etwas zusammenhanglosen Bericht erstattet. Wiewohl man ihn mehrmals zum Schweigen gemahnte, wurde es doch der Tafelrunde klar, daß die Seele der Babette im tiefsten Mittelalter schmachtete, trotzdem sie später bei schluchzender Entgegennahme des Rüffels versicherte, sie sei nur bei Frau Milchsack gewesen, um sich ihr Fußgebresten wegkurieren zu lassen . . .
    Gab man nun auch zu, daß ein Hühnerauge zuweilen eine starke Beschwörung nötig mache, so war damit die Zeremonie mit den Kerzen, dem Goldfischglase und den Karten (noch dazu im Beisein eines unschuldigen Knaben) durchaus noch nicht zur Genüge geklärt . . . Für Babette bedeutet jenes Glas- und Kartenorakel eine unumstößliche Offenbarung. Es ist sehr belanglos für sie, daß Exzellenz es für Unsinn erklären und Herr Dr. Dunlop leise pfeift; – sie hat es immer besser gewußt . . . Heut abend sitzt sie schon, bevor der Kleine gekommen ist, äußerlich steif da und doch voll Unruhe; und wenn sie in die gelbe Lampe starrt, nehmen die Pupillen ihrer blicklosen Augen eine seltsame Farbe an, gleichsam ein glanzloses Schlehenblau . . . Als er kommt, umfaßt sie ihn mit dem aufleuchtenden Blick eines überlegenen, schweren Bedauerns. Täte man auch eindringliche Fragen, man würde nichts aus ihr herausbekommen; – sie würde höchstens mit der hölzernen Bauernhand durch die Luft fahren: »O nee, nee, nee!!« – Nichts verraten würde sie, und wenn man sie am Spieße röste . . . Es ist beinahe so, als sei sie zur Schonung ihrer Umgebung schmerzlich entschlossen; als ersticke sie gellende Kassandraschreie unter dem Fischbeinpanzer ihres Busens . . .
    Dora, das Stubenmädchen, in schwarze Wolle und weißes Schürzchen gekleidet, erscheint und bringt das Abendessen für Albert. Babette bindet ihm die Damastserviette vor, die ihn schier priesterlich verhüllt und hinten in der Art einer großen Schmetterlings endet. – »Wie du rauskuckst von die Zerviett'!« spricht sie und schnalzt; »wie so'n S–piegel-Ei siehst du aus.« – Er bekommt Porridge, Milch, Butter und Brot

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