Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Pfaffenwäldchen, ein größerer Buchenbestand, nahm ihn auf. Er folgte ungefähr der Richtung, die der Habicht genommen; doch der Boden hier, uneben, gestattete kein gerades Vorwärtsdringen.
    Er hatte kaum hundert Schritte in den Wald hinein getan, und die Klänge der sommerlichen Felder verschollen hinter ihm. Ab und zu war es noch, als trage ein warmer Windstoß eine Welle von Insektengezirp herzu, die sich jedoch nur flüchtig im Ohre hielt und wie zarter Aufschrei verebbte.
    Es war tempelstill. Er sah nichts als grüne Dämmerung, wellig bewegten Boden, von stillen Lichtern gesprenkelt. Seine Tritte versanken im Moos oder stießen hart auf hervorbrechende Steine, und als er um die große Eiche bog, die auf einer kleinen Lichtung etwa in der Mitte des Wäldchens stand, geschah ein Zweites.
    In spindelförmigen Drehungen glitten zwei braune Körper um einen knorrigen Ast. Dazwischen blitzte es gelb von schlangenhaft gewundenem Leib: ein Edelmarder. Wie ein zuckender Bausch von brauner Watte fuhr kurz vor seiner Nase der Schwanz eines Eichhorns hinweg. Sie stoben um den Baum: Verfolgtes und Verfolger. Rindenfetzen regneten herab. Oben aus turmhoher Spitze schossen sie durch ein Stück Blau wie Flieger, und man sah, daß der schwerere Körper mit größerer Schnellkraft den kleineren überholte. Man hörte ein gleichzeitiges Aufschlagen beider am nächsten Stamm, knirschendes Geräusch, einen Ton wie einen Pfiff, und dann Stille.
    Harald eilte herzu. Noch sah er nichts. Zunächst kam noch ein Rindenstückchen – dann taumelten in sachten Schwingungen braune Haarflöckchen herab . . . Plötzlich fuhr er zusammen und erschrak im Tiefsten.
    Es war, als ob ein leiser Finger ihn an der Schulter rühre, die aus dem geöffneten Hemde geglitten war. Er starrte darauf hin: ein Tropfen Blut saß auf seiner weißen Haut und sickerte, seine Rinnen entfaltend, die Brust herab. Er wischte es aufatmend mit dem Hemde weg, etwas Angstvolles trat in seinen Blick, für den Moment Ratloses – dann, in seinem Unvermögen, des Mörders habhaft zu werden, peitschte er mit einem Zweig wütend auf den Stamm los.
    Langsam ging er weiter. War er in eine Gegend geraten, in die er sich so selten begab, daß sie ihm fast unbekannt dünkte? Es waren zwar immer Bäume, Moos, Steine, kleine Klüfte; aber es schien, als sei er nun in einem Bereich, der sonst gemieden wurde. Vorjähriges und vorvorjähriges Laub schwärte, von fauligem Wasser durchsetzt, in Löchern, die keinen Abfluß gestatteten. Der Boden trug das Gepräge vulkanischer Zerrissenheit, soweit ein sanftes deutsches Waldbild diese Form entwickelt.
    Er erkannte, daß hier ein Sumpfgebiet war, das man ungern durchschritt; zwar war es nicht gefährlich, aber es ermüdete und führte zu keiner Entdeckung. Besser, man streifte am Rande dieses Teiles entlang, bis man auf die Straße zurückkam.
    Aber er war nun einmal schon fünfzig Schritte hineingeraten, und er fand nicht den Entschluß, wieder umzukehren – seltsam überzeugt plötzlich, er werde noch auf etwas Bestimmtes stoßen; worauf, das wußte er nicht. Er sprang über die moorigen, von schlammigem Humus erfüllten Löcher, kam dann wieder auf trockene Stellen und merkte auf einmal an dem Ansteigen des Bodens, daß er an das »Hünengrab« gelangt sein müsse.
    Dies war ein Hügel, den man in der Gegend so nannte, obwohl oberflächliche Untersuchungen längst festgestellt, daß von einem Grab keine Rede war. Nur die seltsam spitzige Form des Hügels hatte den Namen entstehen lassen. Außerdem knüpfte sich, wie ihm jetzt einfiel, lächerlicher Aberglauben an diesen Hügel. Da er im Freien lag, so hatte sich wohl vor Jahrhunderten ein Wirrkopf, der hier eingeschlafen, einen Sonnenstich geholt und allerhand gefaselt, was recht gut in den Rahmen durch Foltern erpreßter Berichte gepaßt haben mochte.
    Eine andere Tatsache, die den Ort im Volksmund verfemte, war die, daß die hier wachsenden Pilze einen »Hexenring« bildeten – einen Ring, dem Bannkreis entsprossen, den dunkler Künste Fähige hier gezogen. Harald stand in praller Sonne dicht vor diesem »Hexenring«. Ja, da war er; Hunderte von Fliegenpilzschirmen leuchteten aus dem Grase hervor – wie Blutspritzer..
    Ihn fröstelte. Wie kam ihm nur der Gedanke an Blut so ständig wieder in den Sinn?! – Zwei Morde hatte er erlebt, ja, da war's: alltägliche Morde, versteckte, lächerliche und belanglose Morde, die in den Kreislauf gehörten wie alles andere. Und doch

Weitere Kostenlose Bücher