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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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sachter Tanz durch Luft, genienleicht.
    Je näher er dem Städtchen kam, desto dumpfer hauchten die Wände ihn an. Ja, als er gar in die Schatten der alten Basteien trat, wehte ihm jene selbe wie aus erwärmten Kellern streifende Schwüle entgegen, die ihn auf seiner Flucht aus dem Wald mit Herzklopfen bedrängt.
    Es war Neumond, es herrschte nur dieses stille, unbeirrte, kalte, flirrende Licht der Sterne, die doch in ihrer Gesamtheit nur schwachleuchtenden Nebel zustande brachten. Dann wichen die schwachen Lichtgeschehnisse der grellen Glut einer Bogenlampe.
    Er ging eine leichthügelige, schlecht gepflasterte Straße hinauf, von der aus wie scharf einschneidende Schluchten sammetschwarze Nebengassen abzweigten; – bog dann selbst um die Ecke, erblickte ein rötliches Licht über einer altmodischen Haustür und verlangte Einlaß mit dem Klopfer.
    Obwohl es noch ziemlich früh sein mußte, waren die Gassen doch ungewohnt still. Nach der Zeit, die er vom Walde her gebraucht, konnte es höchstens neun Uhr sein, und trotzdem dauerte es eine Weile, bis er den schlürfenden Schritt der Magd innen hörte und die Tür ihm entriegelt ward.
    Sie starrte ihn etwas erstaunt – so dünkte ihn – an, machte aber keine Bemerkung außer der, daß seine Eltern bereits ins Bett gegangen seien und sich verwundert hätten, wo er so lange bliebe. Mitternacht sei längst vorüber.
    Er versuchte, dies als einen Scherz abzuwehren und ein kurzes Gelächter dagegenzusetzen mit den Worten: »Sie träumen wohl, Mechtild!« Doch dann fielen ihm die anderen Anzeichen auf, die ihre Behauptung beweiskräftig machten, und sie brauchte kaum nach der Standuhr im Vorplatz zu deuten, um ihn von der Wahrheit zu überzeugen.
    Er ging in sein Zimmer, schloß die Tür und entfachte die Öllampe auf seinem Schreibpult. Mechanisch zog er sich aus, ohne im geringsten müde zu sein; und doch war ihm zur Sammlung ganz erwünscht, daß er jetzt in seiner vertrauten Bude saß. Nackt ging er noch im Zimmer umher und sah sich von einem Empirewandspiegel zurückgeworfen. Dort bewegte sich sein Körper weiß wie Papier und sein Gesicht, das ihn seltsam erblaßt dünkte; – ja, nicht der geringste Kontrast in Farben bestand. Sein braunes Gesicht, seine roten Wangen schienen ihm kalkfarben, als sei er durch eine große Prüfung hindurchgegangen, die er sich nicht enträtseln konnte.
    Er erschrak darob flüchtig, doch machte ihm diese offenbare Augentäuschung nicht weiter zu schaffen. Nur als er jetzt in der Mitte des Zimmers stand, unschlüssig, ob er noch etwas lesen solle oder sich hinlegen, war ihm auf einmal, als trete alles, was er sah; – der vertraute Stuhl, das Ledersofa, sein Pult mit dem Spiegel darüber und das Bett, von ihm zurück in eine Entfremdung und Entfernung . . . ähnlich so, wie man Dinge erblickt, wenn man ein Opernglas verkehrt ans Auge bringt.
    Er schüttelte den Kopf, und müde, ja angewidert durch die aufdringliche Halluzination, ging er aufs Bett zu. Es schien ihm Minuten zu dauern, bevor er es erreichte. Endlich lag er drin und schloß die Augen; doch von Schlaf war vorerst noch keine Rede.
    Die Türklinke ging, er öffnete die Lider und sah seine Mutter vor sich stehen. Er beschloß, sich sofort wieder schlafend zu stellen, merkte aber durch die fast geschlossenen Wimpern hindurch, wie sie sich aufmerksam mit ihrem streng geschnittenen kleinen Gesicht über ihn beugte. Er hörte sie noch wie aus weiter Ferne im Zimmer umhergehen und die Lampe mit leisem Klirren löschen. Dann ging die Klinke ein zweites Mal, und sie war draußen.
    Er fühlte förmlich ihre Gedanken, mit denen sie den Gang zurückschlich; sah sie im Geiste durch Mauern hindurch den silbernen Scheitel schütteln und vernahm halb geflüsterte Sorgen, die sich über ihre schmalen Lippen drängten. Die rasselnde Stimme seines Vaters stellte noch vorübergehend einige Fragen und gebrauchte dazwischen ein heftiges Wort.
    »Sie halten mich offenbar für berauscht«, dachte er. »Das wird morgen Kanzelton beim Frühstück geben.«
    Dann versuchte er weiterzuschlafen, und ihm war dabei, als blicke er durch die Dunkelheit plötzlich in den Sternenhimmel hinein. Decke und Dach schienen gewichen, er schwebte irgendwo im Raum. Er starrte in ein Gewimmel von Welten, runden Kolossen aus Silber, bewegt nach unfaßbarem Rhythmus. Eine seltsame Gletscherstarrheit hielt sie trotzdem gebunden, und der Begriff: » Raum « überfiel ihn den Bruchteil von Sekunden lang, als sei seine

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