Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
darüber streuen.«
Und sagte noch dies und das, was angenehm zu hören war, und am nächsten Morgen durfte der kleine Albert trotz seiner tiefen Trauer wieder aufstehen. Er ging an der Hand des Vaters; sie aßen wieder zusammen; er bekam Wein zu trinken, und am Nachmittag sahen sie sich den Garten an.
Da sah es nun freilich übel aus. Aber sie würden reisen, hatte Papa gesagt, und wollten weit, weit weg. Vorher jedoch war es nötig, daß man sich umsah und Anordnungen traf.
Als die Pappel gehoben wurde, hätten die Gärtnergehilfen sie beinahe wieder fallen lassen.
Denn unter ihrem Laub saß, halb in die Erde vergraben, eine kleine, halb verkohlte, behaarte und seltsam menschenähnliche Gestalt, zusammengekrümmt, mit krauser Stirn, erhobenen Händen und weitgeöffneten blinden Augen. – –
Achtes Bild
Das älteste Ding der Welt
Die drei Zeichen
Es war an einem deutschen Fluß – sagen wir an der Lahn – und in einem Städtchen, das man sich wie Limburg vorstellen mag. In den tiefen Buchenwaldungen der Umgebung ging der achtzehnjährige Harald von Calmus, einziger Sohn des bejahrten, aber geistig noch regen Reichsfreiherrn von Calmus-Dunkelstedt – Kammerherrn und pensionierten Offiziers – sehr gern spazieren.
Wie schon öfter, war es Harald durch eine kleine Finte gelungen, seinen Hauslehrer abzuschütteln, der an einem sonnigen Samstagnachmittag bereits auf Montags-Lektionen erpicht war, denn er bereitete den Schüler auf die Maturitätsprüfung vor.
Harald ging allein durch die Felder auf das Pfaffenwäldchen zu. In ungestörtem, trächtigem Frieden reifte die kommende Ernte dem Herbst entgegen. Jeder Atemzug war Frieden. Die Lerchen, wie Punkte ins weite Blau gestreut, tröpfelten friedliche Triller hernieder. Der Wind umschmeichelte das fahle Grün der strotzenden Saat wie mit trägem, von Frieden erschlafftem Fächer. Insekten schrillten und summten; ihr Getön verwob sich zu feinmaschigem Netz von Lauten, sanft auf alle Daseinsängste sinkend. Irgendwo blinkte ein Teich hervor und spiegelte winzige weiße Wolken; gab dem hellen Blau funkelnde Verklärung zurück. Die Oberfläche dieses Teiches zitterte leise wie die Haut eines großen Tieres in Wollust der Ruhe.
Während Harald so schritt, machte er sich keineswegs Gedanken über die bevorstehende Prüfung, sondern er trug, ganz für sich, seine Andacht dahin zu den großen und stillen Linien, zu der strotzenden Natur; und in ihm fand jeder wispernde Ton des sich erfüllenden Wachstums dankbar liebevolles Echo. Er geriet, wie oft bei solchen Wanderungen, in eine Art entrückten Zustandes, der ihn für Stunden gefangennehmen konnte gleich sanfter Hypnose durch brennende Farben, einlullende Lieder. Das Hemd stand ihm offen auf der Brust, der weiche Kragen war zurückgeschlagen. Aus den kurzgeschnittenen Ärmeln pendelten die gebräunten Arme lässig zu seinen Seiten, und seine blauen, halb zugekniffenen Augen spähten in die Ferne, ohne doch etwas Bestimmtes zu sehen. Er war selbst zu einem Stück der Natur geworden, wie er so wunschlos einhertrottete ohne Bedürfen. Eines wußte er: daß er sich unendlich wohlfühlte; daß nichts ihm übelwollte, und daß er von Talenten und Möglichkeiten trächtig sei wie dieser von Keimen und fruchtbaren Zersetzungen erfüllte Boden.
Die von jungem Blut prall durchpulsten Lippen hielt er halb geöffnet in dem warmen Dunst und schlürfte die Luft, die ihn durchdrang wie Wein. Eine Mütze trug er nicht, das bräunlich goldene Haar ward frei von jedem Wind durchwühlt. Heute hing es ihm halb in die Stirn, und er schüttelte es zuweilen mit zuckender Bewegung des Nackens hinters Ohr.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.
Ein grauer Stein fiel aus der Luft herab. Hierauf erhob sich Wogen der Halme und wildes Rascheln dort, wo er eingeschlagen. Als ob ein kleiner Wirbelwind an jener Stelle entstehe, sträubten sich die Ähren. Er hörte klatschendes Geräusch, schnell mehrmals wiederholt; zwei quiekende Töne – und nach kurzer Zeit arbeitete es sich aus den Ähren hervor, um in trägem Flug ein kleines Wesen davonzuschleppen, was noch zuckte, quer eine Gasse nach dem Wald zu in das Getreide peitschend: ein mächtiger Habicht, der einen Junghasen in den Krallen trug, eng an sein mörderisches Herz gepreßt. Harald stürzte nach der Einfallstelle und sah mohnblumenrote Tröpfchen im Umkreis verspritzt. Er suchte nach einem Stein, gab es bald auf, ging mit zielbewußteren Schritten weiter.
Das
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