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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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verursachte, tastete sich nach rückwärts und fiel stumm und steif an die innere Polstertür. Hier blieb er liegen, das Gesicht in den gebauschten Ausschnitt seiner Bluse vergraben, und ein wildes Getöse entstand hinter seinen Schläfen, das rasend anschwoll und seine Gedanken verjagte, bis er in der völligen Finsternis einer tiefen Ohnmacht lag.
     
    Eine lange Zeit mußte vergangen sein, als Albert in seinem eigenen Bett erwachte. Sein eigenes Zimmer trat ihm entgegen mit allen vertrauten Gegenständen, dem Ofen, der wachstuchüberzogenen Kommode, dem japanischen Bettschirm und den Lilien an der Tapete dicht neben seinem Kopf. Er machte einen Versuch, sich zu erheben, und schließlich gelang es ihm, seine Beine unter der Decke hervorzuschieben. Lange saß er so auf der Bettkante und starrte auf seine Schenkel, deren Haut, wie am ganzen Körper, in Feuchte gehüllt schien. Er stand auf und taumelte im Zimmer umher mit einem wohligen Gefühl glatten Parketts unter den Sohlen. Dann stand er vor dem hohen Schrankspiegel und streifte das Nachthemd ab, um sich anzukleiden . . . Er unterließ es. Vor Schwäche stolpernd, zog er das Hemd wieder an; und sein Gedächtnis versuchte an einem bestimmten Punkte wieder anzuknüpfen. Es gelang ihm nicht; alles schien wie in einen Nebel gehüllt. Mit Behagen empfand er, daß seine Glieder von Schweiß wie gekühlt waren; er preßte sich an das Fensterbrett und sah in den Garten.
    Huh, da sah es anders aus! Eine Amsel sang; alles lag im Schatten. Ein schwerer Hauch blähte sein Hemd. Die Kieswege krochen wie helle Schlangen durch die grauen Blättermassen. Ein leichter Wind bewegte die Fuchsien am Sims. Die Blutbuche am Fluß sah schwarz aus; und der Himmel war mit schwefelgelben und grauen Wolken bedeckt.
    Der kleine Albert fühlte ein leises, irritierendes Prickeln am Haupte unter seinem dunkelblonden Schopf. Nun kommt der Regen, dachte er, und das hat mich geweckt. Gott sei Dank, daß der Regen endlich kommt. –
    Er lehnte sich mit offener Brust weit aus dem Fenster. Und siehe da: plötzlich fiel aus dem Himmel, gar nicht sehr eilig, ein violettroter Schein, wie eine Zunge, die über den Bäumen aufblakte, oder ein Knäuel Feuergarn, das sich abwickelte. Und nachdem das Phänomen vorüber war, hörte Albert einen scharfen Böllerknall, der ihm beklemmenden Schreck machte, und sah, wie die große Pappel hinter den Terrarien langsam in Bewegung geriet. Sie fiel gemächlich um; sie war in der Mitte gespalten; sie tastete mit peitschenden Zweigen, mit silbern durcheinanderrieselnden Blättern eine lustige Kreislinie entlang und lag dann, quer über dem Weg, mit der halben Krone in den Gladiolen und Azaleen.
    – Und dann ging in der Luft noch etwas vor. Ein Rascheln erhob sich oben; und auf einmal sprang ein kühler Sturm irgendwo auf; er führte schräge Schwaden von Hagelkörnern mit sich, die tanzten, polterten, rumorten. Die Scheiben an den Terrarien waren plötzlich nicht mehr da. O weh, dachte Albert, das wird Papa wenig Freude machen. Wie schade war das! . . .
    Wo ist Papa? . . .
    Eine Minute lang dauerte das klirrende Donnergemurmel dort oben, dann kam Regen, Regen; der Fluß war von Millionen weißer Blasen gesprenkelt. Albert ging in sein Bett zurück und streckte sich der Länge nach aus. Sofort schlief er wieder ein, und der Vater war jetzt in der Stube, das wußte er. Er hatte gefühlt, daß sich eine warme Handfläche auf seine Stirne legte, und dann hatte er tief geatmet, so als ob sein Herz plötzlich voller und gesünder schlage.
    Als er gegen Abend erwachte, saß der Vater noch immer an seinem Bett; er hatte sich nicht um das Unwesen gekümmert, auch nicht darum, daß seine kleine Tierwelt da draußen in alle Himmelsrichtungen entschlüpft war – er war froh genug, daß sein Knabe diese Krisis überstanden hatte und daß er ihn behalten durfte. Und dann kamen die schlanken Hände auf ihn zu, er ergriff sie mit seinen großen Fingern und spielte mit ihnen, während er mit seiner mühsamen Stimme, die tief und voll klang, unablässig beruhigende hübsche Sachen redete, oft zweimal, bis das aufblühende Verständnis Alberts davon Besitz ergriff.
    Er sagte: »Deine Mutter ist von uns gegangen. Sie hat noch von dir gesprochen und läßt dich grüßen. Sie hat keine Schmerzen erlitten; es kam, wie es kommen mußte.« –
    Er sagte: »Du bist jetzt mein Einziger. Du hast mich sehr geärgert; doch es war nicht nötig, daß ich dich prügelte. Wir wollen Sand

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