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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Seele bloßgelegt und empfahe Lichthiebe, so ungeheuer scharf und kurz, wie nie zuvor gekannten Schmerz. Ja, es schien sich ein klirrendes Pathos von diesem Horizont von Welten her auf ihn zu wälzen, als sei er von so ungeheurem Getöse umhüllt, daß seine irdischen Ohren nicht mehr imstande seien, es wahrzunehmen, sondern nur seine Seele diesen Urlärm empfinde als gespenstische Vergewaltigung.
    Die plötzliche Überbrückung nie ermessener Entfernungen war fürchterlich. Er wurde in den großen Strudel kosmischen Geschehens hineingezogen und geriet fast in einen Zustand, wo das Denken ihn im Stich ließ, in eine Angst vor plötzlichem Wahnsinn, dem er sich nähere wie unentrinnbaren Katarakten.
    Ja, das war, als ob er für Augenblicke sein eigenes Alter nach Lichtjahren zu messen habe und von einer Kälte, die in kaum ausdrückbaren Graden herrsche, tödlich verbrannt werde. Einer der Weltkörper, der kupfern glühte und einen dunklen Ring wie einen Nebel um sich rotieren ließ , wuchs auf ihn zu wie ein Alpdruck. Sein Leib auf dem Bett bäumte sich, seine Brust tat angstvolle Atemstöße, und mit einem Schrei fuhr er empor.
    Was ihm geschehen, wußte er nicht; nur daß er eines unsagbar Grauenhaften gewärtig gewesen, einen bizarren Traum lang.
    Die Kammer war hell. Es herrschte erstes Morgenlicht.
    Er erhob sich schwankend aus dem Bett und trat ans Fenster.
    Noch lag das Städtchen tot. Auf einmal hörte er donnernden Hufschlag über das Pflaster, und zugleich das Gerassel eines wütend dahingewirbelten Wagens. Er beugte sich vor, doch konnte er nur mehr den hinteren Teil einer einzelnen Droschke wahrnehmen, die im gemächlichsten Tempo der Welt hinter einer Straßenbiegung verschwand.
    Er rieb sich die Stirn und hörte ein schrilles Gezirpe. Waren das die Schwalben? Er blickte nach dem Turmdach; da sah er zuckende schwarze Linien, wie von Peitschenschnüren geformt, umherfahren; und vernahm dabei das unablässige Schrillen ohne Pause.
    »Bin ich verrückt«, dachte er entsetzt, schlug mit der Stirn gegen die Wand und krampfte die Fäuste zusammen.
    Beim nochmaligen Hinspähen gewahrte er die Schwalben wie zu jeder Morgenstunde zwitschernd um den Turmknauf streichen. Doch ihre Flugbahnen hatten nichts Beschleunigtes mehr, sondern er konnte die weißen Brüstchen mit dem rostbraunen Fleck und ihre segelnden Schwingen scharf und deutlich erkennen. Auch brach jetzt mit funkelnder Plötzlichkeit eine Garbe von Sonnenlicht hervor. Es schien, als habe die Sonne in einer Viertelminute einen kleinen Ruck über den Horizont getan, den sie doch gerade erst mit sanften Rosen zu bestreuen begonnen.
    Mit äußerster Kraftanstrengung vergegenwärtigte er sich, daß dies alles Hirngespinste seien, goß ein Glas kalten Wassers herunter, und indem er sein übernächtiges Gesicht scharf im Spiegel betrachtete, gelang es ihm, wieder klar zu denken. Er versuchte jetzt, auf das Sofa niedergelassen, den Ursachen all dieser Seltsamkeiten auf die Spur zu kommen. Er erinnerte sich auf einmal des gestrigen Nachmittags, ja alle Einzelheiten jenes scheinbar absichtslosen Spazierganges traten ihm mit unglaublicher Schärfe wieder ins Bewußtsein. Er erinnerte sich der drei Morde, die er erlebt, des verfemten Hügels und der Pilze.
    »Ha,« fiel es ihm ein, »diese Pilze! Habe ich nicht mit dem Kopf mitten zwischen ihnen geschlafen? Doch hat man je davon gehört, daß Pilze eine vergiftende Atmosphäre verbreiten können, ähnlich der von giftig-süßen Blumen im geschlossenen Zimmer? Das ist doch unmöglich! Oder habe ich einen Sonnenstich erlitten, während ich schlief? Das muß es sein; aber das kann man kurieren!« Logisch war es nicht, daß er seinen Zustand mit diesen Malen in Verbindung brachte; doch eine innere Stimme zwang ihn dazu. Er ging an den Waschtisch und reinigte die Narben, so gründlich es ging. Schmerzen verspürte er keine.
    »Ich muß mich doch irgendwie vergiftet haben« dachte er mühsam. »Aber die Wirkung muß jetzt vorüber sein.« Er kleidete sich an und ging hinunter, wo er am Frühstückstisch mit gewöhnlicher unbefangener Stimme erklärte, er sei gestern im Walde eingeschlafen, vielleicht übermüdet durch große Hitze, und habe dann in der Dunkelheit nicht sofort den Weg auf die Straße gefunden.
    »Ausflüchte, Verehrter, Ausflüchte«, schnarrte der alte Freiherr und zog die zottigen, weißen Brauen hoch in die Stirn, wobei ein scharfer Zug an die Nüstern seiner Nase trat, die dem Schnabel eines

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