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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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kaum Atem bekam; und als ich die Augen aufriß, hatte ich seinen Kopf dicht am Gesicht – nicht die nette schwarze Maske dort, sondern einen . . . gierigen Kopf; die weißen Bartgrannen zitterten, als ob er lächle. Dabei drückte er seine Krallen langsam in meine Brust und hatte einen seltsamen Ton in der Kehle . . . Kein Schnurren. Als ich ihn abschütteln wollte, fauchte er. Das hat er noch nie getan. Ich hatte Mühe, ihn loszuwerden. Ich spüre noch seine Krallen.«
    Ich entfachte die Lampe und sie zeigte mir die Male: sechs kleine blutunterlaufene Punkte, wie von Nadelstichen, auf den kleinen Brüsten. »Nun, er wollte spielen«, beruhigte ich sie. »Aber weil du dich schon vor Moloch fürchtest, sehe ich, daß ich dich nicht mehr alleinlassen darf. Ich werde ein Mädchen engagieren.«
    »Gut, Mark! Es tut wohl, Hilfe zu haben, wenn Moloch wieder spielen will. Aber alt darf dieses Mädchen nicht sein. Ich will eine Spielgefährtin . . .«
    Nach längerem Suchen fand ich ein robustes Geschöpf von fünfundzwanzig Jahren, das gern die Arbeit übernahm und für uns kochte. Marlies fieberte dauernd. Der Zustand war ihr aber nicht unbehaglich. Ursula pflegte sich nach getaner Arbeit an ihr Bett zu setzen und mit ihr zu plaudern. Da ergriff Marlies eines Tages ihren nackten Arm und tastete ihr mit den Nägeln, die inzwischen spitz und lang geworden, bis zur Schulter hinauf. Plötzlich – so berichtete mir die Überraschte – habe sie ihre Nägel mit ungewöhnlicher Kraft ihr ins Fleisch gebohrt; Blutstropfen seien hervorgetreten, und Marlies habe geflüstert: »Tut's weh?! – Halt' aus!! – Weißt du, Ursula, daß du mir eine ganze Menge Blut schuldest?? « – worauf sie es mit züngelndem Kuß von ihrer Haut gesogen habe . . . Dann habe sie ihren schmalen Körper an den kräftigen des Mädchens gepreßt und ihr mit einem Ausdruck ins Gesicht gespäht, der noch viel überrumpelnder gewirkt habe als der unerwartete Überfall. Ihr, Ursula, sei ganz schwach in den Knien geworden, wie wenn sie einem seltsamen Einfluß unterliege; schwer atmend sei sie aufs Bett gesunken, ganz dem Zugriff, den Delirien und den saugenden Blicken der Marlies ausgeliefert . . . Als ich meine Tochter zur Rede stellte, schien sie nichts mehr davon zu wissen. Später lächelte sie abwesend und meinte: »Tat ich das? So wollte ich ihr wohl zeigen, wie Moloch es mit mir machte . . .« Ursula jedoch war, wie es in der Jagdsprache heißt, vergrämt. Als sie ihren Dienst antrat, hatte sie viel geträllert und gesungen; nun wurde sie schweigsam.
    »Es kommt vom Hause, Herr«, sagte sie. »Außerdem ist das Fräulein nicht zu bändigen. Wenn Sie nicht da sind, läuft sie im Hemde herum. Ich hatte schwere Mühe, sie ins Bett zu schaffen. Ich fürchte, ich schaffe es nicht mehr. Jede Gelegenheit paßt sie ab, um mir einen Streich zu spielen. Und ich trage dann die Verantwortung, wenn sie kränker wird.«
    »Ist das Fieber denn gestiegen?«
    »Es ist jetzt ständig über achtunddreißig. Schon morgens . . . Ob es nicht doch die Lunge ist?«
    Wieder ließ ich Ihren Kollegen Pinswang kommen, und wieder fand er nichts und blieb bei seiner verschleppten Grippe. Blut und sonstige Befunde seien vollkommen befriedigend. Sie hüstelte nicht einmal.
    – – Meine Herren . . . Ich hatte Höllenangst, das kann ich Ihnen sagen. Eines Tages setzte ich mich vor den Spiegel und sah mich an.
    Dieser Mensch hier, zwang ich mich zu denken, ist Prokurist; Vertrauensperson einer Großbankfiliale. Während seiner sieben Schalterstunden übt er seine Routine mit lautloser Genauigkeit. Seine Anweisungen sind knapp und schnell; Präzision kennzeichnet seine Bilanzen, seine Telephongespräche, seine Diktate. All dies besorgt dieser Mensch da – diese ausgewachsene, dünnlippige, glattrasierte Marionette mit dem angegrauten Scheitel . . . Er ist eine wesentliche Schraube im Unternehmen. Bei seiner Papageiennase fällt die Schwäche des Kinns doppelt auf; das muß seinen Grund haben . . .
    Ich wollte in noch weiteren melancholisch-selbstgefälligen Betrachtungen wühlen, da fühlte ich, wie mich das Blitzen meiner eigenen Brille blendete. Ich trage eine sehr starke Nummer. –
    Diese Figur im Spiegel war also Marliesens Vater – ein erstrebenswert kompetenter bürgerlicher Papa. Das war's, was die Welt zu sehen bekam; sie kannte es, sie riß sich nicht darum; sie gähnte hinter der hohlen Hand. Nie noch gab es einen so tollen Kontrast zwischen

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