Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Ausweg nach.
Das Tier
Ich will nicht entscheiden, ob die Intuition, die mich zur Entdeckung des Puppenhauses führte, aus mir selbst stammte. Man hatte mich phantastisch überfordert; jedenfalls hatte ich es plötzlich gekauft.
Der Händler Siegmund Trommelfell merkte meine Angst vor seiner Weigerung und nutzte sie aus. Sie kennen ihn ja – er ist der Direktor des kleinen stereoskopischen Panoptikums in der Wachsziehergasse: zehn Pfennig die rotierende Landschaftswalze mit Pyramiden und Staubstürmen, zwanzig Pfennig: Intimes für Erwachsene. Das Puppenhaus war seine Hauptattraktion, aber sie zog nicht genug für seinen Geschmack.
Es gehörten besinnliche Leute dazu mit Geduld und einem albernen Gemüt; die gibt es ja heutzutage in unserer amerikanisierten Welt nicht mehr.
Es waren Stoffpuppen mit Holzgliedern und Sprechmechanismen. Tiefer Humor hatte sie geschaffen. Da ihre Anatomie zerbrechlich war, so hatte Trommelfell das ganze Haus entrückt aufgestellt. Er konnte erschrocken zetern, wenn man es trotzdem zu befingern versuchte. Für die Vorstellung verlangte er eine halbe Mark. Die Puppen waren so abgestimmt, daß sie in gleichmäßigen Intervallen ihr Sprüchlein von sich gaben. Man zog sie auf; dann mußte man aber eilig die Vorderfront des Hauses zuklappen und durch die Fenster spähen. Eine Taschenbatterie, wie man sie zur Treppenbeleuchtung braucht, sorgte für Illumination.
Der Preis, den er bei mir erzielte, entsprach meinem Einkommen für drei Monate; ich feilschte jedoch keinen Moment, ich nahm es sogar selbst mit – stellen Sie sich das vor! in Packpapier eingewickelt: eine blamable Sache für einen Prokuristen . . . Der Weg war lang; aber ich hatte, was ich wollte. Ich lud mein Paket vorläufig in der Küche ab und dann ging ich noch einmal aus und holte Lebensmittel, die mir für lange Zeit reichen sollten. Auch einige Flaschen alten Kognaks (– um Ihnen entgegenzukommen, meine Herren Psychiater, und Ihnen eine Diagnose zu erleichtern! – Ich sehe Sie lächeln; doch weiß Gott, zuweilen hat man Kognak nötig beim inneren Frost solcher Dinge . . .).
Das Mädchen nahm Abschied am ersten November. – Ich entlohnte sie reichlichst. – Bis zum letzten Augenblick blieb sie verschlossen darüber, was sie eigentlich vertrieb. Ihr Hauptargument war: es sei ihr zu »ruhig« bei uns. Auf jeden Fall blieb es bei dem Eindruck: Flucht. – Nachdem der Rieselregen draußen sie verschlungen, sagte ich dem gichtgeplagten Hausmeister, ich wünsche während der nächsten Wochen von Besuchen nie gestört zu werden; er solle alle Nachrichten entgegennehmen und mich für verreist ausgeben. Dann gab ich ihm noch Geld für laufende Rechnungen und sperrte die Etage ab. – So – (dachte ich, und es war vielleicht ein irrer Gedankengang) – jetzt wollen wir einmal sehen, ob wir dich nicht gesund bekommen, du obstinate kleine Hexe. Ich war der felsenfesten Überzeugung, daß beim Versagen alles Empirisch-Verstandesmäßigen der bloße Wille das Wunder wirken könne. Freilich, völlig ungestört mußte man sein; ungestört . . . Das war das Geheimnis! Ausschalten jeden Einflusses von außen! Schauerlich zielstrebige Konzentration! Adeptenkampf gegen das aalglatt Unfaßliche!
Da lag sie, Marlies, dies weiße Wunder an knospender Körpergestaltung, versonnen und versenkt in die schlimme Geschäftigkeit ihres Pulses. Zuweilen schritt sie auch halb taumelnd, halb tanzend umher; – manchmal grübelte und weinte sie; – immer wieder spülte der dunkle Strom Fratzen heran: klaffende Münder ohne Geschrei; Augengruben ohne Pupillen.
Ängste dich nicht, Marlies! – Ich bin bei dir! – Flugs, nicht wahr, treten jetzt lächelnde Züge hinzu; schaukeln tropische Inseln; schwirren Vögel . . . Meine Stimme schuf Erlösung, selbst wenn mir die Kehle zugeschnürt war von der Faust unausdenkbaren Leides. Ich fühlte die bleiche Blüte ihres Leibes sich lösen und erschlaffen nach den Zuckungen und huschenden Wahnsinnsbildern. Ihr Zahnfleisch wurde blaß wie ihre Lippen; ihre Haut erhielt seltsam stumpfen Glanz und strahlte Hitze aus. Es war, als glimme sie und müsse plötzlich auflodern als funkelnder Phönix.
Schweißtreibende Mittel versagten. – Ohne Pause bohrte das Fieber sich durch den Schacht dieses jungen, trotzigen Leibes, der ihm noch Widerpart hielt . . . Wie lang noch? Und an diesem Abend, als das Puppenhaus in meinen Besitz übergegangen, schöpfte ich Hoffnung: sie durfte mir nicht
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