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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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starr auf das rote Schindeldach des Badehauses gerichtet. Seine Füße traten auf Schotter, den die Bauhandwerker unterhalb der Gerüste ausgestreut hatten. Das knirschende Geräusch schmerzte in seinen Ohren, und er zitterte bei dem Gedanken, in den nahen Gesindestuben könnte man die verräterischen Laute hören und auf ihn aufmerksam werden. Als er die grauen Mauern des Badehauses in seinem Rücken spürte, verharrte er erleichtert. Von hier aus würde die Flucht ein leichtes sein. Vielleicht konnte er sich ein Stück flußabwärts von einem Lastkahn mitnehmen lassen.
    Doch dann, völlig unerwartet bemerkte er, wie sich der gleißende Schein zahlreicher Lampen und Pechfackeln in den dünnen Glasscheiben des Badehauses spiegelten. Im nächsten Augenblick brandete eine Flut von Stimmen über den Hof. In den blendenden Lichtkegel drängten sich die Umrisse von Männern in kalt aufblitzenden, blanken Harnischen. Und sie trugen Waffen: Hakenbüchsen, Armbrüste und Spieße. Wütendes Hundegebell begleitete ihr Rufen.
    Eine Falle, durchzuckte es Bernardi in äußerster Panik. Die Pforte in die Freiheit war tatsächlich nichts weiter als eine gemeine Falle gewesen. Er warf sich zu Boden. Die Schergen wußten, wohin er gegangen war, doch noch war es ihnen in der Finsternis unmöglich, ihn auszumachen.
    »Felix Bernardi, bleibt stehen!« rief eine tiefe Stimme. »Ihr werdet uns nicht entkommen, Mörder!«
    »Zeigt euch, oder wir lassen die Hunde los!« brüllte ein anderer. Wie zur Bestätigung heulte die Hundemeute auf. Bernardi schlug sich durch das wilde Gestrüpp, das sich schmerzhaft in seine Hände und sein Gesicht grub. Wenn er den wilden Bestien des Stadthauptmanns entkommen wollte, mußte er dafür sorgen, daß sie seine Spur verloren. Als er sich umwandte, sah er, daß die Männer näher kamen. Ihre Fackeln leuchteten den Boden ab.
    Schweißgebadet rappelte der Magister sich auf und stolperte vorwärts, der Umfassungsmauer entgegen. Das Gebell der Hunde und die Rufe seiner Verfolger schwollen zu einem ungeheuren Getöse an. Blindlings stürzte er auf die Mauer zu und hoffte, daß er sich nicht irrte und der Durchlaß sich genau an dieser Stelle befand. Ein heißer Schmerz jagte durch seine linke Hand, als er das Dornengestrüpp zur Seite schob. Hier existierte tatsächlich ein Loch, doch es war viel kleiner, als er es in Erinnerung hatte. Gleichgültig, es gab keinen Weg mehr zurück. Der Stadthauptmann würde kurzen Prozeß mit ihm machen, falls er ihm in die Hände fiel. Bernardi konnte nur beten, daß die Männer des Hauptmanns ihn nicht jenseits der Mauer in Empfang nahmen. Im selben Augenblick betraten die ersten Stadtwachen den Kräutergarten und legten auf den Flüchtigen an. Wenig später peitschten fünf Schüsse wie bläulich glimmende Kugelblitze durch die Nacht.
    ***
    Die ersten Männer der geheimnisvollen Prozession hatten soeben den Hügel erreicht und verschwanden, sich verstohlen umblickend, zwischen den Bäumen.
    Philippa stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wen die Bauern auf ihrer Trage mit sich schleppten, aber sie konnte nichts erkennen. Die Entfernung war schlichtweg zu groß.
    »Ich kann nicht glauben, daß diese Leute einen erschlagenen Christenmenschen bei Nacht und Nebel von ihrem Friedhof holen, um ihn dann auf einen Hügel zu entführen. Haben sie etwa den Verstand verloren? Wenn die Kirche davon Wind bekommt …«
    »Oh, macht Euch um den Segen der Kirche keine Sorgen, Jungfer«, erwiderte Gabriel Prinz spöttisch. »Seht Ihr den kleinen, feisten Mann, der direkt hinter der Bahre schreitet?«
    »Ihr meint den Kerl mit den Wacholderruten?«
    »Das ist Diakonus Leuthold, der Geistliche aus dem Nachbarort. Wann immer die Bauern aus Rauhfeld und Umgebung einen Wahnbrauch durchführen, um aus Naturerscheinungen die Zukunft herauszulesen, ist er sogleich zur Stelle!« Mit einem Satz schwang sich der Musikant auf den steinernen Fenstervorsprung, schlug die langen Beine übereinander und begutachtete das Mundstück seiner Sackpfeife. Mit wachsendem Ärger sah Philippa ihm dabei zu. Der Kerl führte sich auf, als wäre das, was da draußen vor sich ging, so normal wie das Credo während der Messe.
    »Eure Mutter hat Euch doch gewiß erklärt, was es heißt, einen Wahnbrauch zu beachten?« fragte Gabriel und ließ einen pfeifenden Ton erschallen.
    »Die Frau, mit der ich gekommen bin, ist nicht meine Mutter, sondern meine Tante«, antwortete Philippa mürrisch. »Im übrigen halte

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