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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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ich nichts von abergläubischen Ammenmärchen. Mich interessieren die Wissenschaften!«
    »Die Menschen hier denken darüber anders! Sie leben in enger Gemeinschaft mit der Natur und ihren Nachbarn. Wendet sich auch nur einer gegen sie, so könnte das heißen, daß die braven Bauern den Winter nicht überleben.«
    »Ihr werdet es nicht glauben, aber ich bin auch auf dem Land groß geworden. Ich habe die Zeichen der neuen Zeit am eigenen Leib zu spüren bekommen!«
    »Dann müßtet Ihr verstehen, daß die Leute sich nur schützen wollen!« Gabriel legte sein Instrument behutsam neben sich und maß Philippa mit einem prüfenden Blick.
    »Schützen? Wovor?«
    Gabriel seufzte. »Der Dorfvorsteher starb vor einigen Monaten an einer unbekannten Krankheit. Das mag noch nichts Ungewöhnliches sein. Doch wenige Tage nach seinem Tod verschwand plötzlich die Amme seines Kindes, ein blutjunges Ding, von einem Tag auf den anderen spurlos aus dem Dorf.«
    »Sie verschwand?«
    »Fragt Eure Wirtin, wenn Ihr mir nicht glaubt. Sie ist doch die Witwe unseres Vorstehers und muß ihr Balg nun allein durchbringen. Seit Maria Himmelfahrt betritt kaum eine Magd freiwillig die Schankstube. Angeblich haben mehrere Bauern im Ort den verstorbenen Dorfvorsteher nach seinem Tod im Wald von Rauhfeld gesehen. Und als man dann auch noch diese Leiche aus dem Dickicht zog …«
    Philippa warf den Kopf zurück. Sie war an Nachrichten über Maria interessiert, nicht an Spukgeschichten. Sollten die Rauhfelder doch ihre Gevattern beim Strohfeuer damit unterhalten. Sie selbst war aus einem ganz anderen Grund in dieses Nest gekommen. Behutsam tastete sie ihren Kopf ab. In ihren Schläfen pochte es schmerzhaft.
    »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Herrin?« Gabriel sprang vom Fensterbrett und beugte sich besorgt zu Philippa hinunter. »Ich fürchte, ich rede zu viel. Mein wunder Punkt. Ein Komödiant und versfußkranker Dichter findet nur schwerlich ein Ende, bevor nicht der letzte Vorhang gefallen ist.«
    »Sagt mir nur noch eines«, entgegnete Philippa. »Was geschieht nun mit dem Leichnam des Erschlagenen da oben auf dem Hügel?«
    »Sie haben Angst, ihn in geweihter Erde zu bestatten, aber auf dem Hügel steht die Ruine einer Abtei, die zur Zeit der Bauernkriege gebrandschatzt wurde. Nur ein paar Mauern, ein verfallener Turm und die Gewölbe sind übriggeblieben. Ich schätze, sie werden den Kerl mit der Kreuznarbe im ehemaligen Chorraum aufbahren. Im Angesicht des Kreuzes, versteht Ihr? Danach leiert der Pfarrer seine Litanei herunter, räuchert das Gewölbe mit Wacholderfeuer aus, und falls der Leichnam des Fremden in den kommenden Wochen keine widernatürliche Veränderung aufweist …«
    Philippa wandte sich ab. Während Gabriels anschaulicher Schilderung war ein Wort gefallen, das sie nicht mehr losließ. Konnte es sein, daß sie ihn falsch verstanden hatte? Mit bebender Stimme fragte sie: »Was habt Ihr soeben über den Toten gesagt? Bitte wiederholt es noch einmal!«
    Der Musikant zuckte verständnislos die Achseln. »Der Mann mit der Kreuznarbe?«
    »An welcher Stelle trägt der Tote eine Narbe in Form eines Kreuzes? Wo genau?«
    »Ich war leider nicht dabei, als die Holzfäller ihn aus dem Wald holten. Aber man erzählte mir, er habe eine feuerrote Brandnarbe auf dem rechten Handrücken. Vor allem diese Narbe bestärkte die Bauern in ihrem Argwohn, er könnte der Wiedergänger sein, der seit Maria Himmelfahrt die Sümpfe um Magdeburg unsicher macht.«
    Philippa nickte stumm. Das Pochen in den Schläfen war von einem rasenden Schwindelgefühl verdrängt worden, das so stark wurde, daß es sie beinahe in die Knie zwang. Golfried, dachte sie erschüttert. Golfrieds Narbe. Der Tote aus dem Wald war niemand anderes als ihr entlaufener Verwalter aus Lippendorf.
    ***
    Am nächsten Morgen führte die Wirtin der Schenke ihre Gäste durch das Anwesen. Philippa hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Bleich, die Augen tief in den Höhlen, lief sie hinter Katharina und der Frau in Witwentracht her, die über Weißkraut und Huflattich sprach. Sie gab sich keine Mühe, den Erklärungen der Witwe zu folgen, und wich Katharinas erstaunten Blicken aus.
    Wie sollte sie sich auch auf Rettichsamen, Heilkräuter und Pflanzen für die Schönfärberei konzentrieren, wenn der ehemalige Verwalter ihres Vaters tot auf einem Hügel lag? Bis zum gestrigen Tag hatte sie fest daran geglaubt, Golfried bald wieder ausfindig zu machen und von ihm die Bestätigung ihrer

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