Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
Schankraum hinunter. In Anwesenheit ihrer Tante hatte sie die Wirtin nicht auf den Dorfvorsteher und schon gar nicht auf die Lepperin ansprechen wollen. Doch nun war die Gelegenheit günstig. Valentin hatte sich bereits davongemacht, um sich vor dem Schlafengehen noch einen Humpen Bier zu gönnen. Er würde sie bei ihrem Vorhaben nicht stören.
    Schummriges Dämmerlicht, das von einigen Kerzen gespeist wurde, fiel aus dem Dachgeschoß herab. Philippa hielt inne und blickte sich um. Außer der Stiege zum Schankraum gab es noch eine weitere Treppe, die ihr bei ihrer Ankunft im Haus entgangen war. Vermutlich befanden sich die Kammern der Hausknechte oder der Schankmägde in einem zugigen Geschoß unter dem Dach. Philippa ging zu einer der kleinen Fensternischen hinüber, um sich eine Kerze zu holen. Es fehlte noch, daß sie sich auf den schrägen Stufen den Hals brach. Als ihr Blick jedoch durch die schmale Öffnung ins Freie fiel, hielt sie erstarrt inne.
    Jenseits des Dreschplatzes wand sich ein Zug aus Männern und Frauen, Knaben, Mägden und Greisen den nahegelegenen Hügel empor. Die Kienspäne, die sie in Händen hielten, brannten so hell, daß sie die Nacht zum Tage machten. Die Flammen schienen sich sogar über den Köpfen der Menschen zu einem einzigen Feuerball zu vereinigen. Philippa kniff die Augen zusammen. Was sie sah, jagte ihr Angst ein, doch sie war außerstande, ihren Beobachtungsposten aufzugeben. Die Arme schützend vor der Brust verschränkt, verfolgte sie, wie weitere Bauern sich den gespenstischen Fackelträgern anschlossen. Sie strömten von einem mit einfachen Feldsteinen eingefriedeten Ort am Rande des Dorfes, der mit seinen Erdaufschüttungen und spitz aufragenden Holzkreuzen unschwer als Gottesacker auszumachen war. Auf einer Trage schleppten zwei der Männer einen länglichen Gegenstand mit sich, doch Philippa konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, um was es sich dabei handelte. Was um alles in der Welt hatten die Leute um diese Zeit auf der Anhöhe zu tun? Philippa entsann sich plötzlich, daß sie weder am Falltor noch auf der Dorfstraße auch nur eine Menschenseele angetroffen hatten. Selbst die Schenke war nicht übermäßig gut besucht gewesen. Sollten die Menschen hier …
    Plötzlich hatte sie das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden. In panischer Angst drehte sie sich herum und starrte in die Züge eines fremden Mannes, der sie von oben bis unten musterte.
    »Hoffentlich habe ich Euch nicht erschreckt, Jungfer«, sagte der Fremde und deutete eine Verbeugung an. Der feine Spott, der aus seiner Gestik sprach, erinnerte Philippa einen Atemzug lang an Felix Bernardi. Der Fremde war groß und hielt sich aufrecht wie ein Edelmann. Seine Haare waren bis auf einige graue Strähnen blond und fielen ihm in widerspenstigen, jedoch gepflegten Locken über die Schultern. Lediglich die Kleider, die der Unbekannte trug, wirkten abgetragen und ließen mit ihren farbenfrohen Schlaufen am Gürtel und an den Nieten sowie den Glöckchen an seinen spitzen Schuhen an das Kostüm eines Gauklers denken. In der Hand hielt er seltsamerweise eine Sackpfeife.
    »Seid Ihr der Musikant, der bei unserer Ankunft in der Schankstube aufgespielt hat?« fragte Philippa, als sie sich ein wenig gefaßt hatte. In ihrer Stimme schwang noch immer der Schrecken mit, den sie vor ein paar Momenten ausgestanden hatte. Gleichzeitig straffte sie ihre Schultern. Um nichts in der Welt wollte sie vor diesem Dorfpfeifer zugeben, daß er ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. »Was habt Ihr hier oben zu suchen? Solltet Ihr nicht die Gäste Eurer Herrin unterhalten?«
    »Nicht im geringsten, Jungfer«, antwortete der Mann und machte einen Schritt auf das Fenster zu. Wie ein Signal meldeten sich die Glöckchen am Schaft seines Schnürschuhs. Philippa fragte sich ärgerlich, wie sie dieses Geräusch auf der Treppe hatte überhören können. »Erstens gibt es heute abend keine Gäste im Schankraum, die unterhalten werden könnten, und zweitens ist die Gastwirtin nicht meine Herrin. Über dem Haupt des alten Gabriel Prinz schwebt einzig der Himmel!«
    »Ach wirklich?« Philippa dachte nach. Möglicherweise war es keine schlechte Idee, mit dem Musikanten ins Gespräch zu kommen. Immerhin erfuhren Gaukler eine ganze Menge.
    »Wenn Ihr so gute Verbindungen zum Himmel habt, wißt Ihr vielleicht auch, was die Bauern dort draußen am Hügel treiben. Was soll dieser merkwürdige Pilgerzug bedeuten?«
    Der Unbekannte ließ seine

Weitere Kostenlose Bücher