Die Magistra
Erbansprüche in Lippendorf zu erhalten. Doch nun war ihr Traum zerplatzt.
»Hast du gesehen, in welcher Dichte hier der Färberwaid sprießt, Nichte?« Katharinas Augen leuchteten vor Freude. »Ich schätze, wir werden weniger Sämereien für den Kräutergarten, dafür jedoch reichlich Färberpflanzen einkaufen.«
Philippa ließ ihre Blicke über die winterfesten Gärten schweifen, als erwache sie soeben aus einem tiefen Schlaf. Die Kräuterbeete auf dem Landstück hinter der Schenke waren ordentlich abgesteckt und mit Feldsteinen eingefriedet. Schmale, rote Hölzer zeigten an, für welche Gewächse der Erdgrund vorbereitet worden war: Basilikum, Beifuß, Melisse, Rosmarin, Liebstöckel und Lavendel. Kostproben sämtlicher Heil- und Würzkräuter hingen getrocknet und sorgfältig gebündelt unter einem Rauchfang, dessen Kamin aus Ziegelsteinen eine wohlige Wärme verströmte.
Den größten Teil des Anbaus schienen indessen Pflanzen jener Art auszufüllen, deren Substanzen zum Einfärben von Linnen, Seide und Damast gebraucht wurden. Einige junge Männer beschnitten mit langen Scheren vier Granatapfelbäume, deren Früchte im Sommer die begehrten Schwarztöne lieferten. Neben den Apfelbäumen standen in einer ordentlichen Reihe Dutzende von Walnußbäumen, auf deren verkrüppelten Ästen Raben saßen und in den grauen Winterhimmel krächzten. Der Februar, so erklärte die Wirtin, sei der geeignete Monat, um den Bäumen eine gesunde Form zu verleihen. Im hinteren Teil der Anlage hatte man mehrere runde Beete angelegt, die mit Tüchern fein säuberlich abgedeckt waren. In ihnen sollten Krappwurzeln gedeihen, aus deren Saft man rote Farbe gewann.
Hocherfreut darüber, was sie sah, schritt Katharina durch den Kräutergarten, deutete bald auf dieses, bald auf jenes Hölzchen und entschied sich zum Schluß dafür, Proben sämtlicher Sämereien einzukaufen. Sie winkte Valentin zu, der gelangweilt auf dem Gatter saß, und forderte ihn auf, die Binsenkörbe vom Wagen zu laden.
»Dein Rat war tausend Taler wert, meine Liebe«, sagte die Lutherin an Philippa gewandt. »Ich verstehe gar nicht, wie das Gut deines Vaters bei solchen Lieferanten jemals in Schwierigkeiten kommen konnte!«
Philippa zwang sich ein Lächeln ab, um ihrer Tante nicht die gute Laune zu nehmen. Die Schwierigkeiten hatten gewiß nicht damit begonnen, daß Abekke von Medewitz ihren Fuß auf Lippendorfer Boden gesetzt hatte, doch letzten Endes hatte ihre Ankunft Philippas Schicksal besiegelt. Es war müßig darüber nachzudenken, ob eine bessere Qualität von Rettichsamen und Wurzeln die Nachbarn von ihrem Raubzug ins Grenzgebiet abgehalten hätte.
Am Zaun ließ Philippa ihre Tante ein Stück des Wegs allein vorausgehen, um auf die Gastwirtin zu warten. Ungeduldig beobachtete sie, wie die Frau ihren Baumschneidern mit fester Stimme Anweisungen erteilte.
»Euer Dorfpfeifer hat mir von einer jungen Amme berichtet, die in Eurem Hause diente, bevor sie plötzlich aus Rauhfeld verschwand«, wandte sie sich unvermittelt an die Frau, als sie das Gatter zum Kräutergarten verriegelte. »Kann es sein, daß dieses Mädchen Maria Lepper hieß?«
Mit einem lauten Gepolter schlug die Frau das Gattertor zu und starrte Philippa überrascht an. Dann wandte sie ihr abrupt den Rücken zu und beeilte sich, Katharina und Valentin einzuholen. Doch so einfach wollte Philippa sie nicht davonkommen lassen. Ohne zu zögern, setzte sie der Flüchtenden nach.
»Laßt mich bitte in Frieden!« herrschte die Wirtin sie an, verlangsamte dabei jedoch ihren Schritt. »Habe ich nicht bereits genug ertragen? Muß ich nun auch noch zum Gegenstand der Neugierde in Stadt und Land werden?«
Philippa spähte zu dem kleinen Platz vor dem Fachwerkhaus hinüber. Ihre Tante war im Gasthaus verschwunden, und der Knecht hievte eine Anzahl von Körben vom Wagen. »Ihr habt mich mißverstanden, gute Frau«, sagte sie beschwichtigend. »Ich bin Magistra in Wittenberg. Maria Lepper war meine Gehilfin. Sie starb vor wenigen Tagen, und als ich erfuhr, daß die Arme aus Rauhfeld stammte …«
»Maria ist tot?« Die Wirtin senkte den Blick. »Ja, sie muß wohl tot sein. Mein verstorbener Gatte ahnte schon, daß es einmal böse mit ihr enden würde. Sie weigerte sich, im Garten oder auf den Feldern zu arbeiten. Wenn eine Tür ins Schloß fiel, zuckte sie zusammen, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Es war schrecklich mit anzusehen. Aber sie war eine tüchtige, fromme Amme, ich hatte keine
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