Die Magistra
ihre ängstliche Stimme. »Schert euch davon und gebt mir den Weg frei!«
»Schau an«, erwiderte der größere von beiden höhnisch. »Dieses Vögelchen kann ja reden. Und ich glaubte schon, wir hätten eine der schwarzen Pestkrähen erwischt, die draußen auf dem Dach hocken.«
Der Mann trug einen struppigen roten Kinnbart, und seine Augen glänzten in einem derart wäßrigen Blau, daß Philippa sich fragte, ob er nicht vielleicht ein Bastard des alten Medewitz war. Langsam, mit kleinen Schritten wich sie zurück an die Wand, bis sich der feuchte, rauhe Stein in ihren Rücken bohrte. Über ihr blitzten zwei eiserne Schilde, die vor langer Zeit im Turnierkampf benutzt worden waren, und eine Hellebarde. Blitzschnell streckte Philippa ihre Hand nach der Waffe aus, aber der Landsknecht war schneller. Brutal packte er ihr Handgelenk und riß es mit einer Leichtigkeit von der Wand, als habe er tatsächlich einen Vogel vor sich. Philippa schrie vor Schmerz auf.
»Rühr sie bloß nicht an, Armin«, hörte sie die Stimme des zweiten Mannes. Ärgerlich zerrte er an dem geschlitzten Wams seines Kameraden. »Du hast doch gehört, was die Herrin gesagt hat. Das Weib hat sich von ihrem Alten die Pest an den Hals geholt. Laß uns nicht noch mehr Zeit vergeuden und sie endlich fortschaffen!«
»Was … habt ihr mit mir vor?« stammelte Philippa. Vermutlich hatten die beiden Knechte sie beim Verlassen der Krankenstube beobachtet. Warum half ihr nur keiner? Die Dienerschaft mußte doch ihre Schreie gehört haben. Wo waren Sebastian und Roswitha? Gewiß kam ihr Bruder jeden Moment die Treppe herauf und machte dem Spuk ein Ende.
Die Landsknechte gaben ihr keine Antwort. Derb zerrten die beiden sie die Stiege hinunter und fluchten, als sich ihr Gewand an einem Knauf verfing. Sie handelten auf Abekkes Befehl, soviel hatte Philippa mitbekommen, und Sebastian schien zu wissen, was man ihr antat, aber er half ihr nicht.
Sie führten sie in den Keller hinab. Nicht in die hellen, trockenen Kammern, wo Öl und Bohnen lagerten, sondern in den abgelegenen Gewölbeteil, der so dunkel und kalt war, daß man glauben mochte, der eigene Atem würde im nächsten Moment zu Eis erstarren. Ein ekliger Gestank von verschüttetem Schwarzbier und verfaultem Stroh verband sich mit dem Modergeruch des Kellers.
Plötzlich zog der Rotbart einen Schlüsselbund aus seinem Wams. Philippa stöhnte laut auf. Es waren Golfrieds Schlüssel. Nikolaus von Boras Verwalter hatte sie stets stolz an seinem Gürtel getragen und sich nicht einmal im Schlaf von ihnen getrennt. Der Rotbart gab seinem Kameraden einen Wink, worauf dieser Philippa zu einer schmalen Pforte im westlichen Anhang des Gewölbes führte. Allem Anschein nach betraten Abekkes Männer den Keller zum ersten Mal und kannten sich daher nicht aus. Sebastian muß ihnen den Weg beschrieben haben, überlegte Philippa. Oder sie hatten Golfried gezwungen, ihnen zu helfen, was auch erklärte, daß sie seine Schlüssel benutzten.
»Hier werdet Ihr die nächste Zeit wohnen, Jungfer von Bora. Ich hoffe, Ihr findet alles zu Eurer Bequemlichkeit. Euer Bruder, dieser Narr, bestand sogar darauf, saubere Decken und frisches Stroh in die Kammer schaffen zu lassen. Auf Kerzen und Tranlampen müßt Ihr also leider verzichten!« Ein humorloses Lachen dröhnte durch das Gewölbe. Unvermittelt öffnete der Landsknecht die Pforte und schob Philippa in einen düsteren Verschlag. Philippa wehrte sich aus Leibeskräften, aber der Rotbart lachte nur über sie. Er machte sich nicht einmal die Mühe, ihren Schlägen und Tritten auszuweichen. Zum Schluß versetzte er ihr einen kräftigen Stoß, so daß sie taumelte und bäuchlings auf einem Ballen Stroh landete.
»In ein paar Tagen werden wir wissen, ob Ihr Euch auch die Pest an den Hals geholt habt, wie die Herrin Abekke vermutet«, dröhnte die Stimme des Rotbarts. »Eure Amme wird Euch einmal am Tag durch ein Loch in der Tür untersuchen!«
»Die Pest wünsche ich dir an den Hals«, schrie Philippa in verzweifeltem Zorn. Das Lachen der Medewitzer Landsknechte schallte gespenstisch von den kahlen Mauern wider. Doch irgendwann erstarb es ebenso wie das Geräusch ihrer Stulpenstiefel auf dem steinernen Boden.
Philippa versuchte aufzustehen, bemerkte jedoch rasch, daß es ihr nur Schmerzen bereitete. Ihr ganzer Körper fühlte sich geschwollen an. Vielleicht hatten die beiden Rohlinge ja recht, und sie hatte sich trotz der Tücher und des Schleiers angesteckt. War ihre Stirn
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