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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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ohne Zweifel Roswitha. »Wenn diese gemeinen Rohlinge Euch auch nur ein Haar gekrümmt haben, werde ich sofort Euren Bruder aufsuchen und dem Flegel gehörig den Kopf waschen!« schnaubte die Amme gegen die drei Zoll starke Tür, die sie von ihrem Ziehkind trennte. Und dann wird Sebastian sich auf sein Pferd schwingen, Abekke vom Hof jagen und alles wird wieder sein wie früher, dachte Philippa sarkastisch. Roswitha reichte ihr ein Körbchen durch das Loch. »Es ist nur ein wenig kaltes Brathuhn, Milch und ein paar Äpfel.« Mißtrauisch runzelte sie die Stirn. »Habt Ihr denn Appetit, Kind?«
    Hungrig fiel Philippa über die Speisen und die frische Milch her und verzehrte alles in wenigen Augenblicken, ohne sich jedoch von dem Spundloch zu entfernen. Die Knechte, die das Loch in die Tür gestemmt hatten, gingen schließlich wieder an ihr Tagwerk zurück, nur Roswitha blieb zurück. »Seid Ihr fertig, Philippa? Dann reicht mir den Korb zurück.«
    Philippa nickte und drückte sich dabei so fest gegen das Holz, wie sie nur konnte. »Roswitha, du mußt mich hier herauslassen. Einer von Abekkes Landsknechten, der widerliche grobe Kerl mit dem roten Kinnbart, hat Golfried die Schlüssel des Hauses abgenommen. Du mußt unbedingt herausfinden …« Sie hielt fragend inne. »Roswitha, hörst du mir eigentlich zu?«
    »Ihr wißt doch, daß ich mich für Euch begraben lassen würde, aber ich werde nicht viel für Euch tun können. Abekkes Männer drohen jedem, der sich Euch oder dem Herrn Nikolaus nähert, ihn mit ihren Pferden auf dem Hof zu Tode zu treten.«
    »Wie geht es meinem Vater? Sebastian muß doch nach ihm sehen lassen. Er kann doch nicht …«
    »Gott schenke Euch Kraft, Philippa«, antwortete die Alte voller Ernst. »Herr Nikolaus wird diese Nacht schwerlich überstehen.« Sie schwieg einen Moment, weil sie befürchtete, Philippa könnte ohnmächtig geworden sein.
    »Er … war mein einziger Halt«, murmelte sie leise. »Auch wenn er Sebastian in vielen Dingen vorzog, habe ich ihn geliebt. Und nun läßt er mich allein zurück.«
    »Aber Ihr lebt, mein Kind. Ich weiß gewiß, daß Ihr Euch nicht angesteckt habt, weil ich den heiligen Pankratius um Fürbitte angefleht habe, auch wenn der Herr uns dies streng verboten hat. Und die Weiber im Dorf haben einen Kessel genommen, Fenchel und Beinkraut erhitzt und …«
    Ungeduldig pochte Philippa gegen das Holz der Tür, um Roswithas Redeeifer zu dämpfen. Die Pestkuren der Dorfweiber halfen ihr nicht aus dem feuchten Kellerloch. Sie mußte unbedingt Golfried sprechen, ihn bitten, das Testament ihres Vaters an einen sicheren Platz zu bringen, am besten nach Zölsdorf, wo der Bruder ihres Vaters lebte. Ja, Zölsdorf war weit genug von Medewitz entfernt. Vom Gut ihres Verwandten aus konnte sie Advokaten bestellen, vielleicht sogar Herzog Georg um Vermittlung bitten. Schließlich waren er und Philippas Vater Jugendfreunde gewesen.
    Roswitha zerstörte Philippas Hoffnung mit einem einzigen Satz: Golfried war spurlos verschwunden, und seine für gewöhnlich so penibel aufgeräumte Schreibstube glich einem Schlachtfeld.
    ***
    Die Amme kam von nun an jeden Morgen, gleich nach Sonnenaufgang, um Philippa Essen und eine übelriechende Wundsalbe zu bringen. Dies war die einzige Gelegenheit, ein paar Worte mit ihr zu wechseln, denn abends erschien ein Knecht – jedesmal ein anderer –, der schweigend einen Korb auf den Lehmboden herabließ und widerwillig den Eimer mit Philippas Notdurft entgegennahm.
    Am dritten Abend ihrer Gefangenschaft erschien der Knecht in Roswithas Begleitung; allerdings sprach die Amme kein einziges Wort. Schweigend reichte sie der Tochter ihres Herrn ein zusammengeschnürtes Bündel durch das Spundloch. Es enthielt ein Kleid, schmucklos, einfach geschnitten und aus schwarzem Tuch. Philippa nahm es und grub ihr Gesicht so tief in die Schwärze des Stoffes, daß sie nicht mehr atmen konnte. Schließlich legte sie das Trauergewand an und schnürte den Gürtel so fest sie nur konnte um die schmale Taille. Danach wartete sie, ohne selbst zu wissen worauf.
    Einige Tage später hörte Philippa, wie die Tür aufgesperrt wurde. Ein kühler Luftzug streifte ihre Wangen.
    »Du hast die Wahrheit gesagt, Roswitha«, hörte sie einen Mann sagen, »sie sieht wirklich nicht aus, als habe sie die Pest. Weder Pusteln am Hals noch Schwellungen, abgesehen von ihrer rechten Hand.« Der Mann beugte sich über Philippa. Erst als er ihr mit einem kräftigen Zug seiner Hand

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