Die Magistra
trat, hockte Roswitha schon auf dem Bock des Reisewagens und stritt sich mit einer der Küchenmägde, einem frechen jungen Geschöpf, das gleichmütig die Hand ausstreckte und behauptete, die Amme schulde ihr noch einen Weißpfennig. Neben dem Wagen wartete ein hochaufgeschossener, hagerer Mann. Seine dunklen Haare fielen ihm in wilden Locken über die knochigen Schultern. Obschon ihr der Mann den Rücken zuwandte, erkannte Philippa sogleich, daß es sich um Felix Bernardi, den Prediger aus Wittenberg handelte, den ihr Onkel, Doktor Martin Luther persönlich, erst im vergangenen Herbst nach Lippendorf entsandt hatte, um die Verwandten seiner Gemahlin heimlich in der neuen Lehre zu unterweisen. Mißtrauisch beäugte Philippa den Prediger. Bernardi war schon recht alt, fand sie; er zählte mindestens dreißig Jahre. Und er war so bleich, als ließe er sich vom Barbier anstatt Rasierschaum Kalk auftragen. Bekleidet war der Prediger mit einem langen, gürtellosen Mantel, der vor langer Zeit einmal blau gemustert gewesen sein mußte. An seinem Hals schimmerte eine silberne Kette mit einem ovalen Medaillon. Als er bemerkte, daß Philippa es betrachtete, ließ er den Anhänger mit einem hastigen Griff unter seinen Leinenkittel gleiten. Die glitzernden schwarzen Augen unter den buschigen Brauen signalisierten unverhohlen Mißtrauen.
Nach einigen unverbindlichen Worten der Begrüßung half der junge Mann Philippa auf den Wagen, schwang sich dann selbst behende auf den Kutschbock und ergriff die Zügel. Ein fetter Knecht, den Philippa nur vom Sehen kannte, stakste wie auf glühenden Kohlen zum Tor und schlug eilig den Riegel zur Seite.
»Ich werde dir schreiben, Philippa«, rief Sebastian, während sich die Räder in Bewegung setzten. »Geh mit Gott!«
Philippa wich dem Blick ihres Bruders aus. Wenn sie sich eingestand, daß sie Sebastian trotz allem liebte und von Herzen bedauerte, würde es sie innerlich zerreißen, davon war sie überzeugt. Im übrigen durfte sie Abekke, die ihrer Vertreibung mit sittsam gefalteten Händen beiwohnte, nicht zeigen, wie weh ihr der Abschied vom Haus ihrer Kindheit tat. Wenigstens war Roswitha, ihre alte Amme, an ihrer Seite und würde ihr beistehen.
»Ich werde Golfried finden«, sagte Philippa leise vor sich hin und ließ sich von Roswitha in ein streng riechendes Lammfell hüllen. Das moosgrüne Gutshaus mit seinem Fachwerk und den spitzen Giebeln verschwand in ihrem Rücken, doch noch immer marschierten Sebastian und Abekke, gefolgt von deren bärtigem Junker, neben dem Reisewagen her. Wollten sie sich davon überzeugen, daß Philippa Lippendorf auch wirklich verließ? Erst als das Gefährt unter dem Torbogen hindurchrumpelte und auf den Sumpfsteg zuhielt, blieb die kleine Gruppe zurück.
»Gewiß wirst du Golfried finden, teure Schwägerin«, rief Abekke ihr nach und warf dem Landsknecht einen vielsagenden Blick zu. Sie mußten Philippas leise gesprochenen Worte verstanden haben. Sebastian hob erstaunt die Augenbrauen, doch er ersparte sich die Frage, was seine Braut wohl mit ihrer Äußerung gemeint haben mochte. Hastig und so, als hätte er sich endlich einer leidlichen Pflicht entledigt, kehrte er auf seinen Hof zurück.
6. Kapitel
Kurz vor der Weggabelung nach Zölsdorf griff Philippa dem Prediger in die Zügel und brachte damit den Reisewagen jäh zum Stehen.
Es regnete bereits seit Stunden, am Himmel türmten sich die Wolken zu bedrohlichen, grauen Riesen auf, und der schmale Waldweg, den Philippas Begleiter trotz seiner Furcht vor Wegelagerern gewählt hatte, um schneller vorwärts zu kommen, wurde zunehmend rutschiger.
»Was soll das, Jungfer?« stöhnte der Prediger auf. »Braucht Ihr etwa schon wieder eine Rast? Die letzte am Kieritzer Fischbach liegt nicht einmal eine halbe Stunde zurück! Was tut Euch diesmal weh, die Füße oder der Rücken?« Ärgerlich schlug er mit der Hand gegen die Unterseite der Ziegenhaut, die sich beängstigend rasch mit Regenwasser gefüllt hatte und jeden Augenblick einzureißen drohte. Bernardi fror, und er wünschte sich, niemals diese ungemütliche Reise mit diesem eigensinnigen Frauenzimmer unternommen zu haben.
»Ich habe Euch schon mehrmals zu erklären versucht, daß ich in Zölsdorf nichts verloren habe«, rief Philippa. »Und wenn mein Bruder sich auf den Kopf stellt, ich habe meine eigenen Pläne!« Sie bedachte den Prediger mit einem feindseligen Blick.
Bernardi schüttelte resigniert den Kopf. Er hatte sich den Auftrag, ein
Weitere Kostenlose Bücher