Die Magistra
adeliges Landfräulein zum Gut ihres Verwandten zu begleiten, weniger schwierig vorgestellt. Aus dem hinteren Teil des Wagens war ein lautes Schnarchen zu hören. Vielleicht sollte er die Amme der jungen Frau wecken, damit die Alte ihr den Kopf zurechtrückte. Aber mit der Amme war offenbar noch weniger gut Kirschen essen; er hatte bereits bemerkt, wie sehr sie ihre Herrin vergötterte. Das Mädchen selbst sah mitgenommen aus. Nicht kränklich, aber erschöpft und angespannt. Und blaß, als ob kein Tropfen Blut unter der Haut pulsierte. Seit Lippendorf hatten die beiden Frauen nur das Nötigste mit ihm gesprochen, und über den Grund ihrer Reise hatte man ihn auch im unklaren gelassen. Er vermutete nur, daß sich die Schwester des jungen Gutsherrn nach dem schrecklichen Tod ihres Vaters bei Verwandten erholen sollte.
»Wißt Ihr nicht, wie gefährlich es ist, von der Landstraße abzuweichen?« versuchte Felix Bernardi das Mädchen umzustimmen. »An jeder Biegung können Wegelagerer lauern, vertriebene Bauern, die seit ihrer Ächtung im Wald hausen, und sogar verarmte Ritter, die ihr Lehen versoffen haben und nun in den Wäldern als Strauchdiebe ihr Unwesen treiben. Erst vor wenigen Wochen mußte Kurfürst Joachim von Brandenburg einen seiner eigenen Ritter dem Henker überantworten. Der Kerl war offensichtlich verschuldet und überfiel mit seinen Burgleuten einen Wagenzug aus dem Fränkischen. Den Kaufmann und dessen Tochter versenkte er mitsamt ihren Handelsknechten in einem Sumpf und sah zu, wie sie …«
»Ich habe nicht die Absicht, einen Schleichweg durch die Sümpfe einzuschlagen, Prediger«, unterbrach Philippa ihn kühl, während sie sich ihr Haar mit einer Schnur im Nacken zusammenband. »Wir werden die Richtung beibehalten, Gut Zölsdorf jedoch weiträumig umfahren. Ich habe beschlossen, statt dessen nach Wittenberg zu reisen und mich unter den Schutz meines Onkels, Doktor Martin Luther, zu stellen. Dies müßte Euch eigentlich mit besonderer Genugtuung erfüllen, schließlich kennt Ihr meine Verwandten im Schwarzen Kloster doch persönlich.«
»Nun, Herrin, Euer Ziel in allen Ehren, aber Euer Bruder bat mich …«
»Mein Bruder hat mich aus Lippendorf verjagt! Nicht einmal an das Grab unseres Vaters hat er mich treten lassen. Damit dürfte Sebastians Verantwortung für mich ein für allemal der Vergangenheit angehören. Werdet Ihr nun mich und meine Amme nach Wittenberg begleiten, oder soll ich selbst die Zügel nehmen? Bei Gott, ich tu's, wenn Ihr Euch weigert!«
Bernardi blickte Philippa mürrisch an. In seinem Innern kämpften Bewunderung und Empörung miteinander. Einem Mädchen wie dieser jungen von Bora war er nie zuvor begegnet. Entschlossen ergriff er die Zügel und setzte den Karren wieder in Bewegung. Er hatte sich geschworen, nie wieder nach Wittenberg zurückzukehren, aber was galt ein Schwur in diesen Zeiten, da althergebrachte Bräuche und Lehren über Nacht verschwanden oder eine neue Bedeutung erfuhren? Die Welt veränderte sich, und auch er hatte einst geglaubt, an diesen Veränderungen teilzuhaben. Aber dies war lange her, und am Ende hatte man ihm klargemacht, daß sich für Menschen wie ihn niemals etwas ändern würde.
Rasch schüttelte er den Kopf, als könne er so seine schlechte Laune vertreiben. Was sollte ihm in der Stadt Luthers und Melanchthons schon widerfahren? Es gab nur wenige, die sich an ihn erinnerten und um sein Geheimnis wußten. Und diese alten Bekannten würden ihn wohl kaum verraten. Nicht einmal der Pfarrer von Lippendorf hatte Grund, seinem Gehilfen unangenehme Fragen zu stellen. Bernardi würde ihm neue Bücher und Katechismen aus der Stadt mitbringen. Schließlich zählten die Wittenberger Buchdrucker seit Veröffentlichung der ganzen Heiligen Schrift im Reich zu den besten ihrer Zunft.
Was das Schicksal der jungen Herrin von Bora betraf, so würde das Mädchen im Schwarzen Kloster zu spüren bekommen, daß es sich für ein Weib nicht schickte, starrsinnig zu sein und Männern seinen Willen aufzuzwingen. Um so mehr, wenn das Weib nicht übermäßig mit dem Liebreiz seines Geschlechts gesegnet war. Mulier taceat in ecclesia, hieß es schließlich in der Schrift, die den Protestanten im Kreise Luthers heilig war. Das Weib schweige in der Gemeinde. Mit einer hastigen Bewegung rückte der junge Mann sein blaues Barett über den widerspenstigen Locken zurecht und bog in den Waldweg ein.
»Ihr habt Euch recht entschieden, Prediger«, sagte Philippa lächelnd
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