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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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kann.« Katharina entzündete mit ihrer Lampe ein Talglicht und stellte es auf den Schemel neben dem Bett. Sie lächelte ihrer Nichte noch einmal aufmunternd zu und verließ die Kammer.
    Philippa wartete, bis die Schritte ihrer Tante verklungen waren, dann ließ sie sich auf die Kissen fallen und streckte ihre schmerzenden Glieder aus. Tante Katharina hatte ihr nicht erklärt, wie man durch dieses Labyrinth zum Badehaus fand, aber vermutlich wurden die Zuber zu dieser Stunde ohnehin noch von fremden Männern belagert. Und auf Roswithas Hilfe beim Auskleiden und Kämmen brauchte sie erst gar nicht zu warten; die alte Amme hatte momentan ihre eigenen Probleme.
    Sie seufzte. Das staubige Reisekleid würde morgen in den Ofen wandern, mochte die Lutherin darüber denken, was sie wollte.
    Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, starrte Philippa an die schwarzen Deckenbalken über ihr und bildete sich ein, das Geräusch von Schritten auf den knarrenden Dielen wahrzunehmen. Wer auch immer da oben auf und ab ging: Offensichtlich fand er in dieser Nacht ebensowenig Ruhe wie sie selbst. Philippas Gedanken drehten sich im Kreis wie die Flügel einer Windmühle. Was um alles in der Welt mochte den begabten Prädikanten Bernardi veranlaßt haben, seine theologischen Studien abzubrechen und sich statt dessen in die Abgeschiedenheit einer Dorfpfarre zurückzuziehen?
    Auf dem Weg nach Wittenberg, in den wenigen Stunden, in denen sie miteinander geredet hatten, hatte er Philippa überaus sachkundig die Geschichte der heiligen Katharina von Alexandria auseinandergesetzt, welche die fünfzig gelehrtesten Philosophen des römischen Kaisers Maxentius im Disput um die wahre Lehre besiegt hatte. Der Kaiser war daraufhin so erzürnt gewesen, daß er sie auf vier Räder binden ließ. Doch die Räder brachen zusammen, kaum daß die Heilige das Holz berührte. Letztendlich wurde sie enthauptet, aber die Legende besagte, daß Engel ihren Körper auf einen Berg trugen, wo man zu ihren Ehren ein Kloster errichtete.
    Philippa drehte sich auf die Seite, ohne jedoch das schwarze Holz aus den Augen zu verlieren, das langsam mit der Dunkelheit eins wurde. Ihr Vater hatte ihr geraten, Tante Katharina nach der Heiligenfigur ihrer Mutter zu befragen, doch konnte sie sich der vielbeschäftigten Frau des Reformators wirklich anvertrauen?
    Nach Bernardis Erklärungen verstanden die Evangelischen unter der Gemeinschaft der Heiligen etwas völlig anderes als die römische Kirche, nämlich weniger jene himmlischen Kreise, deren Angehörige man aufgrund ihrer Verdienste um Beistand anrief, sondern alle Gemeindemitglieder der irdischen Christenheit, weil diese von Gott geheiligt, das hieß, zu seinem Dienst auserwählt waren. Demzufolge unterschieden Philippas Onkel und seine Vertrauten in ihrer Lehre nur die verstorbenen von den lebenden Heiligen. Gewiß war Luther dagegen, Figuren von ihnen anzufertigen und sie in den Kirchen zu verehren. Es war wahrhaftig verwirrend.
    Philippa begann vorsichtig ihre Schläfen zu massieren. Das rothaarige Mädchen vom Hof fiel ihr ein, ein Mädchen, dem die Angst vor ihrem Dienst im Schwarzen Kloster förmlich aus den Augen gesprungen war. Gewiß, der Hausherr erwartete wichtige Besucher, und die rohen Kriegsknechte der hohen Herren benahmen sich gegenüber jungen Mägden mitunter nicht besonders ritterlich. Doch die Schmalkaldischen waren noch nicht einmal in Wittenberg eingetroffen.
    Irgend etwas Sonderbares ging von diesem Ort aus, das fühlte Philippa, je länger sie sich in Grübeleien erging. Erschöpft beugte sie sich über den Schemel neben ihrem Bettkasten und zerdrückte die kleine Kerzenflamme zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Deckenbalken schien in der Dunkelheit zu wachsen. Der Arm eines Zyklopen, der bedrohlich über ihrem Kopf schwebte.
    Nicht einmal als Gefangene ihres Bruders und der Abekke von Medewitz hatte sie sich einsamer gefühlt als zu dieser Stunde.

8. Kapitel
    »Ich danke Dir, mein Gott, himmlischer Vater, durch Christus Jesus Deinen Sohn, daß Du mich während dieser Nacht vor Schaden und Gefahr behütet hast und bitte Dich, Du wollest mich an diesem Tag gleichfalls behüten vor Sünde und allem Übel. Auf daß Dir all mein Tun und Lassen …«
    Das hallende Geräusch einer zuschlagenden Tür drang durch die morgendliche Kälte des Kirchenschiffes und beendete den Morgensegen des knienden Mannes auf unbarmherzige Weise. Erschrocken hob Doktor Martin Luther den Kopf und blickte zum Westportal

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