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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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getrennt!« Lächelnd kramte sie einen Schlüsselbund unter ihrem Rock hervor, bei dessen Anblick der alte Golfried ohne Zweifel vor Neid erblaßt wäre. »Die Muhme ist übrigens deine Großtante, Magdalena von Bora aus dem Kieritzer Zweig der Familie. Wir waren gemeinsam im Kloster zu Brehna, ehe wir uns entschieden, den falschen römischen Lehren zu entsagen und unser Heil in der Flucht zu suchen.«
    Philippa nickte höflich und warf Roswitha, der offensichtlich bereits eine Bemerkung auf der Zunge lag, einen drohenden Blick zu. Erleichtert stellte sie fest, daß die Amme sich ihren unförmigen Schnürbeutel mit den Lederriemen auf den Rücken gebunden hatte. Roswitha wußte nicht, daß sie die Schnitzfigur einer Heiligen ins Haus eines Reformators trug. Hoffentlich kam Tante Katharina nicht auf die Idee, ihr beim Auspacken behilflich zu sein. Die Truhe mit Philippas Büchern hatte ein Knecht in einem Vorraum des Küchentrakts abgestellt, ohne daß seine Herrin darauf aufmerksam geworden war. Philippa fragte sich nur, wie lange sie die Figur verstecken konnte. Ihre Tante machte alles andere als einen ungebildeten Eindruck. Gewiß hatte sie im Nonnenkloster Lesen, Schreiben und die Grundzüge des Lateinischen erlernt, Kenntnisse, die ihr als Herrin des Schwarzen Klosters hilfreich sein würden. Philippa fragte sich jedoch, ob die Tante jemals ein Buch zum reinen Vergnügen aufschlagen oder einer wissenschaftlichen quaestio solange nachspüren würde, bis sie eine Antwort gefunden hatte.
    »Lene wird ein wenig zetern, wenn sie einen Winkel ihrer Kammer an eine fremde Dienerin abtreten soll, aber eine andere Lösung sehe ich im Augenblick beim besten Willen nicht. Nicht, solange unser Haus wie eine Herberge aussieht und ich mich fragen muß, wie ich in diesem Durcheinander unseren Räucherspeck und das Dünnbier vor einer Horde ausgehungerter Scholaren schützen soll.«
    Unvermittelt blieb Katharina Luther auf den ausgetretenen Treppenstufen stehen, schob ihre Lampe in eine Fensternische und zog schließlich einen roten Samtvorhang mit staubigen, goldenen Quasten zur Seite. Hinter dem Vorhang lag eine kleine Pforte mit vergittertem Guckloch.
    »Die Augustinermönche, die früher hier im Hause lebten, waren sehr auf ihre Sicherheit bedacht«, erklärte Katharina leise, während sie umständlich die Pforte öffnete. »Die Räume in diesem Flügel gehörten damals zur Universität, wir nutzen sie eigentlich nur noch selten!«
    Nach wenigen Schritten blieb sie stehen, klopfte kurz an eine Tür und gab Philippas Amme ein Zeichen, einzutreten. Roswitha raffte ihren weiten Rock und verschwand mit sauertöpfischer Miene in der Kammer. Die Aussicht, von einem keifenden alten Weib in Empfang genommen zu werden, behagte ihr trotz ihrer eigenen scharfen Zunge wenig.
    »Und hier wirst du schlafen, Nichte!« Die Lutherin deutete auf die Tür der Nachbarkammer.
    Das Zimmer war klein, aber ordentlich gefegt. Hohe Decken, ein rußgeschwärzter Kamin, in dem ein paar trockene Scheite lagen. Außer zwei Zinnkrügen und einer Schale mit Nüssen auf dem Fensterkasten gab es keinen überflüssigen Zierat. Eine typische Gelehrtenstube, schoß es Philippa durch den Kopf. Am Alkoven, der neben einem Schemel das einzige Mobiliar bildete, fehlten die Bettvorhänge, doch das ließ sich verschmerzen. Ebenso die leicht beschädigte Wand, aus der Stroh und roter Sandstein hervorstachen. Wenigstens gab es eine gepolsterte Sitznische unterhalb des Fensters. Philippa liebte frische Luft und einen weiten Ausblick, während sie sich mit ihren Büchern beschäftigte. Erschöpft ließ sie sich auf das knarrende Bett sinken und löste das Kinnband ihrer Haube.
    »Dein Onkel hat sich bereits zurückgezogen!« Katharina Luther deutete mit dem Finger zur Decke hinauf. Anscheinend lagen die Räume des Hausherrn ein Stockwerk höher. »Er hat wieder den ganzen Tag an seiner Bekenntnisformel gearbeitet. Sein armer Sekretär kommt seit Wochen nicht dazu, sich den Bart scheren zu lassen, so sehr hält ihn mein guter Luther auf Trab. Ich habe ihm gesagt, daß er seine Gesundheit ruiniert, aber mir will er ja nicht glauben. Eher würde der Mond einen heulenden Hund erhören als Martin Luther seine eigene Ehefrau. Morgen soll ich ihn noch vor Sonnenaufgang wecken, weil sich die Herren in St. Marien versammeln, um über das bevorstehende Bundestreffen und die Drohungen des Kaisers zu beraten. Daher wird es vermutlich Abend werden, bevor er dich willkommen heißen

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