Die Magistra
verrichtete.
Erleichtert ließ Luther sich in den bereitstehenden Sessel fallen und gab Stadtpfarrer Bugenhagen ein Zeichen, die Versammlung mit dem Gebet des dritten Psalms und dem anschließenden Magnificat in deutscher Sprache zu eröffnen.
Die Beratungen zogen sich über mehrere Stunden dahin. Luther war froh, daß sein Freund Melanchthon als erster sprach, denn dessen sanfte Stimme wirkte beruhigend und wurde nicht einmal vom Echo der vier Rundbögen verzerrt, unter welchen die Herren im Kreis saßen. Sie klang einfach nur freundlich, selbst bei einem so ernsten Thema wie der Verbreitung des ketzerischen Wiedertäufertums im Heiligen Römischen Reich. Als Melanchthon nach einigen Minuten Platz nahm, und ein Diener ihm einen Becher mit Wein reichte, lächelte Luther ihm anerkennend zu.
Nach Melanchthon erhob sich Hans von Taubenheim, der wie sein Kollege Spalatin den Kurfürsten Johann Friedrich persönlich vertrat. Luther lehnte sich in seinem Sessel zurück. Taubenheim war ein stattlicher Mann von etwa vierzig Jahren, dessen scharlachrotes Wams aus flämischem Tuch und dessen Siegelring verrieten, daß er die Würde seines Ritterstandes sehr ernst nahm. Luther konnte sich nicht erinnern, Hans von Taubenheim jemals lachen oder scherzen gehört zu haben, dennoch zählte der Ritter seit Jahren zu den gern gesehenen Gästen an der Tafel des Schwarzen Klosters.
Im Gegensatz zu Melanchthon hielt von Taubenheim nichts von den stilistischen Feinheiten der Redekunst, wie sie an den Universitäten des Reiches gelehrt wurden. Er begann in stockendem Latein, wechselte jedoch bald in die deutsche Sprache über.
»Über Eure Streitigkeiten mit den Wiedertäufern und Schweizern mögen sich die Herren Theologen die Köpfe zerbrechen«, erklärte von Taubenheim, »doch die Botschaft, welche ich Euch im Namen seiner Durchlaucht des Kurfürsten überbringe, könnte das Schicksal sämtlicher evangelischer Reichsstände betreffen!«
»Hört, hört!« Henricus Krapp rollte gelangweilt mit den Augen und ließ sich von einem Pagen seinen Becher nachfüllen.
Von Taubenheim warf dem Patrizier einen verächtlichen Blick zu und fuhr fort: »Wie Ihr wißt, befindet sich Kaiser Karl auch nach dem Rückzug seiner Truppen aus Italien weiterhin in offenem Kriegszustand mit Frankreich. Allein diesem Umstand und der schwankenden Haltung Roms haben wir es zu verdanken, daß der Kaiser bislang nicht gegen die Reichsstände zu Felde gezogen ist. Doch das Blatt hat sich inzwischen gewendet. Zu Ungunsten der Franzosen und damit letzten Endes auch zu unseren.«
»Nun spannt uns nicht länger auf die Folter, Herr«, polterte Martin Luther. Er rang nach Atem. Warum mußten Krankheit und schlechte Neuigkeiten immer zusammenfallen! »Was ist geschehen?«
»Mein Kurfürst wurde davon in Kenntnis gesetzt, daß der Gemahl der Kaisertochter Margarete im Januar einem Mordanschlag zum Opfer fiel!« Von Taubenheim blickte abwartend in die Runde. Er schien es sichtlich zu genießen, den Männern sein Wissen scheibchenweise zu servieren.
»Und welchen Trumpf kann der Kaiser daraus ziehen, daß sein Schwiegersohn Alexander Medici dahingemeuchelt wurde?« Georg Spalatin zupfte nachdenklich an seinem Kinn. Luther folgte seinen Blicken. Er sah dem Mann an, daß er beleidigt war. Bisher war es noch nie vorgekommen, daß Kurfürst Johann Friedrich von Taubenheim vor ihm ins Vertrauen gezogen hatte.
»Dies liegt doch auf der Hand!« Mit einem Satz sprang von Taubenheim von seinem Sessel auf, dessen Polster die Farben seines Hauses trugen, und schlug mit der flachen Hand auf die hohe Lehne. »Der Leichnam des Medici war noch nicht einmal kalt, da ging Kaiser Karl auch schon daran, eine Verbindung zwischen seiner Tochter und Ottavio Farnese in die Wege zu leiten. Glaubt Ihr denn, der schlaue Fuchs wüßte nicht genau, was er tut? Farnese ist nicht nur durchtrieben, reich und mächtig, sondern auch …«
»… nepos papae , der Enkel des Papstes«, riefen Melanchthon und Spalatin wie aus einem Mund.
Für ein paar Momente legte sich betroffenes Schweigen über die Ratsversammlung. Sogar der dickbäuchige Patrizier Krapp starrte erschüttert auf den leeren Becher in seiner Hand. Luther atmete tief durch, um eine neue Welle des Schmerzes in seiner Seite zu besänftigen. Ein derber Fluch entwich seinen Lippen, als er in die bleichen Gesichter seiner Freunde und der Vertreter des Bundes blickte. Sie begriffen schnell. Wenn Papst Paul in der Auseinandersetzung mit
Weitere Kostenlose Bücher